Süddeutsche Zeitung

Insolvenzrecht:Blick hinter den Schutzschirm

Lesezeit: 4 min

Was eine Insolvenz in Eigenverwaltung besonders macht - und mitunter riskant.

Von Michael Kläsgen, München

Immer mehr Konzerne bekommen es mit dem I-Wort, Insolvenz, zu tun. Wirecard stellte einen Insolvenzantrag, Lufthansa schlitterte knapp an einem Schutzschirmverfahren vorbei, und für Galeria Karstadt Kaufhof endet an diesem Mittwoch das Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung. Dafür beginnt nun das "normale" Insolvenzverfahren. Das wirft Fragen auf: Worin liegt eigentlich der Unterschied zwischen beiden Instrumenten? Wozu hat der Gesetzgeber den Schutzschirm geschaffen? Wer oder was wird damit geschützt? Und besteht die Gefahr des Missbrauchs?

Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung

Dirk Hammes, Fachanwalt für Insolvenzrecht, definiert es so: Das Schutzschirmverfahren ist eine besondere Variante des Insolvenzeröffnungsverfahrens. Es soll dem Schuldner ermöglichen, geschützt durch ein gerichtliches Vollstreckungsverbot innerhalb von maximal drei Monaten einen Insolvenzplan zur Sanierung auszuarbeiten. Anders als im Regelverfahren, in dem das Insolvenzgericht zur Sicherung der künftigen Insolvenzmasse einen externen vorläufigen Insolvenzverwalter einsetzt, wie bei Wirecard, kann der Schuldner unter dem Schutzschirm weiter über das Vermögen verfügen. Er steht allerdings unter der Aufsicht eines Sachwalters, den der Schuldner zwar mitbringen kann, der aber vom Gericht bestellt werden muss.

Mögliche strukturelle Nachteile Risiken bestehen bei in Eigenverwaltung durchgeführten Schutzschirmverfahren laut Rechtsanwalt Hammes darin, dass diejenigen, die die Insolvenz verursacht haben, das Unternehmen unter den erschwerten Bedingungen einer Insolvenz sanieren sollen. "Fast immer ist das Management, der Vorstand oder Geschäftsführer, Ursache des Problems, nicht aber Teil der Lösung", sagt Hammes. Der Bock werde zum Gärtner gemacht. Nur wenn außergewöhnliche externe Umstände wie die Corona-Pandemie vorlägen, die ein Geschäftsmodell unvorhersehbar obsolet machten, gelte das nicht - wie zum Beispiel bei der Lufthansa.

Mangelnde Kontrolle

Im Schutzschirmverfahren erlaubt das Gesetz dem insolventen Unternehmen, sich den vorläufigen Sachwalter selber auszusuchen. Das Gericht kann den Vorgeschlagenen nur ablehnen, wenn er für dieses Amt offensichtlich ungeeignet ist. Der Vorschlag für den mitgebrachten vorläufigen Sachwalter stammt in aller Regel von dem Sanierungsberater des Schuldners, der bei Galeria Karstadt Kaufhof Generalbevollmächtigter genannt wird. Hammes: "Wer auf diese Weise als Sachwalter vorgeschlagen wird, darf aber in künftigen Fällen auf seine nächste Nominierung durch den Berater nur hoffen, wenn er bei seiner Überwachungstätigkeit keine Schwierigkeiten macht, also das Konzept des Beraters für das Unternehmen nicht stört und keine Haftungsansprüche gegen die bisherigen Verantwortlichen geltend macht." Ein solches Überwachungssystem sei für die Gläubiger, deren Interessen das Insolvenzverfahren auch hier vorrangig zu dienen hat, "nutzlos, da es keine effektive und neutrale Kontrolle garantiert".

Vorteil Gesellschafter

"Im Schutzschirmverfahren beherrscht faktisch der Sanierungsberater das Unternehmen", sagt Hammes. Der gerichtlich eingesetzte Sachwalter führe wegen seiner Abhängigkeit vom Berater nur ein Schattendasein. Der Berater plant und agiert im Interesse der Anteilseigner, nicht aber, wie es das Gesetz für jedes Insolvenzverfahren vorsieht, im Interesse der Gläubiger. Beraterkanzleien wie Andrew Seidl oder Buchalik Brömmekamp werben offensiv mit den Vorteilen für Gesellschafter. Der Indat Report, das Fachmagazin für Insolvenzberater, schlussfolgert 2019: "Am Ende des Verfahrens ist das Unternehmen operativ saniert und der Altgesellschafter behält sein Unternehmen."

Informationsasymmetrie

Der fortdauernde uneingeschränkte Zugriff auf sämtliche geschäftliche Unterlagen ermöglicht es dem Schuldner im Schutzschirmverfahren laut Hammes, Teile der Insolvenzmasse zu verheimlichen. Er könne Datenbestände oder sonstige Unterlagen, die er dem Sachwalter oder dem Gläubigerausschuss zur Wahrnehmung ihrer Aufsicht vorzulegen hat, manipulieren oder vernichten. Gleiches gelte für Unterlagen, die der Sachwalter im Rahmen seiner originären Zuständigkeit benötigt, um Haftungs- und Anfechtungsansprüche geltend zu machen und durchzusetzen. Der Schuldner habe infolge dieser "Informationsherrschaft" auch viel bessere Möglichkeiten, strafbare Handlungen zu verschleiern und die Berichterstattung an die Gläubiger tendenziös zu färben. Der Schuldner, so Hammes, spiele in der Regel seinen eigenen Anteil an den Ursachen der Insolvenz herunter und erwecke den Eindruck, dass die Fortsetzung der Eigenverwaltung für die Gläubiger vorteilhaft sei.

Plünderung der Insolvenzmasse

Im Schutzschirmverfahren kann der Schuldner sogenannte Masseverbindlichkeiten eingehen. Das sind Verbindlichkeiten, die zur Fortführung der Geschäfte und des Insolvenzverfahrens notwendig sind und mit neuen Gläubigern eingegangen werden müssen. Sie haben gegenüber Altgläubigern Vorrang, denn es würde sich sonst wohl kein neuer Gläubiger finden. Diese Rechtslage wird Hammes zufolge häufig dazu genutzt, liquide Mittel an bevorrechtigte neue Gläubiger fließen zu lassen, ohne dass dies einen Nutzen für die eigentlichen Insolvenzgläubiger hätte. "Den Kosten für Sanierungsberatung sind hier de facto keine Grenzen gesetzt. In diesem Zusammenhang sind auch sogenannte Kick-back-Vereinbarungen von Bedeutung, auf deren Grundlage zumindest Teile der aus der Masse gezahlten Vergütungen an den Schuldner oder ihm nahestehende Personen zurückfließen. Im Ergebnis handelt es sich in allen diesen Fällen um nichts anderes als eine verdeckte Plünderung der Insolvenzmasse."

Godehard Kayser, Senatspräsident des für Insolvenzrecht zuständigen IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, sagte 2014 zu der Problematik: "Mitunter kann man sich im Nachhinein des Eindrucks nicht erwehren, dass die Plünderung des Unternehmens erst so richtig auf Touren kam, nachdem die Berater ins Haus geholt worden waren."

Arndt Geiwitz, der Generalbevollmächtigte von Galeria Karstadt Kaufhof, erklärt dazu: "Das Phänomen der Plünderung kommt ausschließlich in kleinen Insolvenzverfahren vor. Mir ist kein großes Schutzschirmverfahren bekannt, wo so etwas passiert ist. Auch verstieße diese Vorgehensweise gegen das Insolvenzrecht. Darüber wacht der Sachwalter und wäre in einem solchen Fall neben der Eigenverwaltung vollumfänglich persönlich haftbar."

Besonderheiten wegen Corona

Lucas Flöther, Sprecher des Gravenbrucher Kreises, eines Zusammenschlusses überregional tätiger Insolvenzverwalter, sagt: "Bis zum Ausbruch der Corona-Krise gehörte es immer dazu, neben der Gesellschafterlösung auch einen Verkaufsprozess anzustoßen, um zu prüfen, welche Lösung für die Gläubiger die beste ist." Corona habe jedoch in manchen Fällen bewirkt, dass ein möglicher Verkauf des insolventen Unternehmens nicht mehr realisierbar ist, weil ein Käufermarkt derzeit vielfach nicht existiere.

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Quelle:
SZ vom 01.07.2020
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