Süddeutsche Zeitung

Infrastruktur:Schluss mit dem Vorrang fürs Auto

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Das System deutscher Mobilität stößt an seine Grenzen. Der Bund muss endlich den Schienenverkehr stärken. Und auch Autofahrer sollten dafür zahlen.

Kommentar von Josef Kelnberger

Die Lebenslügen der deutschen Verkehrspolitik lassen sich in diesen Tagen an zwei Krisenherden erkennen. Da ist zum einen der reichlich chaotische Versuch, im letzten Moment noch Fahrverbote für Dieselautos in deutschen Städten zu vermeiden. Sogar Abwrackprämien für ältere Diesel sind nun im Gespräch. Und da ist zum anderen die Malaise der Deutschen Bahn, die in ihrer Finanznot gerade einen Ausgabenstopp verhängt hat - aber dringend mehr Geld investieren müsste, um ihre Zukunft nicht zu verspielen. In diesem Sommer hat sie mit ihren Pannen und Verspätungen wieder viele Kunden an den Rand des Wahnsinns getrieben.

Zwei Krisen, ein Grund: der bedingungslose, manchmal besinnungslose Vorrang für das Auto. Das System deutscher Mobilität stößt an seine Grenzen.

Die von der Politik allzu nachlässig kontrollierte Autoindustrie verpestet mit ihren Fahrzeugen die Luft in den Städten derart, dass die Gerichte nun ein Stopp-Schild setzen. Und die Bahn macht Schlagzeilen mit einem Brandbrief des Vorstands, der ein katastrophales Bild des Konzerns zeichnet. Wäre die Lage nicht so traurig, könnte man fast in Schadenfreude verfallen, dass die beiden Krisen in die Zuständigkeit des CSU-Ministers Andreas Scheuer fallen, Vertreter einer Partei, die seit Jahren das Bundesverkehrsministerium mit dem Ziel führt, möglichst viele Straßen zu bauen - und die Ausländermaut einzuführen.

Bund und Bahn müssen alle Möglichkeiten ausloten, den Schienenverkehr zu stärken

Es ist jedenfalls höchste Zeit für eine Verkehrswende, hin zu einer umwelt- und klimafreundlicheren Mobilität. Der Weg führt über die Schiene. Und der zuständige Minister müsste vorangehen, auch bei der Bahn, die zu hundert Prozent dem Bund gehört.

Knapp 30 Milliarden Euro würde es offenbar kosten, das Streckennetz der Deutschen Bahn in den kommenden Jahrzehnten zu digitalisieren. Damit, so heißt es, ließe sich die Kapazität im Schienennetz um ein Fünftel erhöhen. Das entsprechende Konzept soll diesen Mittwoch vorgestellt werden. 30 Milliarden, die Forderung klingt nicht sonderlich populär, wenn man zum Beispiel bedenkt, dass sich die Gesamtkosten für das Prestigeprojekt Stuttgart 21 mittlerweile der Zehn-Milliarden-Euro-Grenze nähern. Und dennoch: Bund und Bahn müssen alle Möglichkeiten ausloten, den Schienenverkehr zu stärken, im Fernverkehr ebenso wie im Nahverkehr. Und bei der Frage nach der Finanzierung wird man irgendwann vermutlich bei Begriffen landen, die für viele Autofreunde heute noch wie Folterinstrumente klingen: Citymaut, Nahverkehrsabgabe. Auch der Autofahrer wird zahlen müssen für die Schiene.

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