Süddeutsche Zeitung

Indiens Autobranche:Vor die Wand gefahren

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Noch vor Kurzem galt Indien als der nächste boomende Markt für die Autoindustrie. Nun aber brechen die Verkaufszahlen ein, Millionen Jobs sind in Gefahr.

Von Arne Perras, Delhi

Raj Chopra hat es eilig, aber zwei Sätze zur Lage, das bekommt er hin. "Über unsere Regierung werde ich nicht schlecht sprechen", das schickt er gleich voraus. Was aber nichts daran ändert, dass es schwere Zeiten sind für Unternehmer, die Autos verkaufen. Chopra ist Chef des Autohändlers Competent Automobiles. Er steht in der Lobby seiner Niederlassung am Connaught Place in Delhi und sagt: "Wenn es der Wirtschaft als Ganzes nicht so gut geht, dann bekommen das auch wir zu spüren." Er wirkt zwar weder gehetzt noch nervös, der dunkle Anzug sitzt wie immer tadellos, die Krawatte ebenso, und auch sein Gesicht erzählt nichts von der Krise.

Die starken Nerven braucht er jetzt auch, so rasant wie die Talfahrt bisher verlaufen ist: Seit neun Monaten in Folge sinken die Verkaufszahlen bei Maruti-Suzuki, jenem japanisch-indischen Gemeinschaftsunternehmen, das die meisten Autos auf dem indischen Subkontinent verkauft. Und die Leiden des Marktführers spiegeln den Trend. Indiens Autoindustrie durchläuft ihre schwerste Krise seit zwei Jahrzehnten. Woran das liegt, darüber herrscht allerdings Uneinigkeit.

Für deutsche Autobauer ist Indien schon lange ein schwieriger Markt - sie sind zu teuer

Maruti-Suzuki, das ist die klassische Einsteigermarke in Indien, das Auto des kleinen Mannes, obgleich der Konzern seine Palette inzwischen auch stark erweitert hat. Das günstigste Modell, der Alto, kostet umgerechnet 4000 bis 4500 Euro. 2018 war für den Hersteller noch ein Rekordjahr, der Konzern verkaufte nahezu 1,8 Millionen Fahrzeuge auf dem heimischen Markt. Jeder zweite Personenwagen, der auf Indiens Straßen fährt, ist ein Maruti-Suzuki. Doch die fetten Monate scheinen erst einmal vorbei. Besonders düster war der August mit einem Verkaufs-Minus von 32,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat, im September waren es 27 Prozent.

Chopras Autohäuser sind weit verbreitet und gut positioniert im viertgrößten Automarkt der Welt. Bald schon wird Indien China als bevölkerungsreichster Staat der Erde überholen, das Land hat eine junge, mobile Bevölkerung, die Mittelklasse wächst. So schien das Land lange wie geschaffen für die große Expansion. McKinsey rechnete noch vor einem Jahr damit, dass Indien bis 2021 Japan beim Absatz von Autos überholen und so auf Platz Drei hinter China und den USA vorrücken werde. Doch von den großen Plänen redet im Moment niemand mehr. Alle starren auf die Kurve nach unten - und die Folgen, die das auf dem Arbeitsmarkt hat: Die Krise kostet viele Jobs, es kursieren Schätzungen, wonach seit April bereits 350 000 Arbeitsplätze verloren gegangen sind.

Für deutsche Autobauer ist Indien nicht erst seit der akuten Krise ein schwieriger Markt. Mit den Preisen der einheimischen Marken konnten sie schon immer schwer konkurrieren, VW beispielsweise ist es bisher nicht gelungen, hier durchzustarten. Für Luxusmarken wie Mercedes, Audi oder BMW gibt es zwar einen Nischenmarkt, doch der war mit 40 000 verkauften Fahrzeugen pro Jahr schon vor dem Einbruch überschaubar.

"Wir sehen den Rückgang im Absatz als temporär", sagt Autohändler Chopra. Bevor er aber erklären kann warum, ist er schon durch die Lobby davongeeilt - zur nächsten Krisensitzung. Die Ursachen des Einbruchs werden kontrovers diskutiert, das bekam auch Finanzministerin Nirmala Sitharama zu spüren. Als sie sagte, dass junge Inder lieber auf Fahrdienste wie Uber und Ola zurückgriffen und deshalb die Autoindustrie leide, erntete sie viel Spott. Andere kritisierten, dass es sich die Ministerin mit solchen Erklärungen viel zu einfach mache.

Wer mit den Jungen ins Gespräch kommen will, muss von Chopras Autohaus nicht weit laufen. Am Connaught Place reihen sich Boutiquen, Cafés und Restaurants aneinander. Ausländische Touristen bummeln herum, aber auch viele jüngere Inder gehen hier shoppen. Zwei junge bärtige Männer, Hardeep Sharma und Virender Singh, suchen den Schatten unter einem Baum. "Ein Auto zu kaufen ist nicht meine Priorität", sagt der 32-jährige Sharma. Und bei seinen Bekannten sei das nicht viel anders. Man brauche sich ja nur umzusehen in einer Stadt wie Delhi, wie nervig es ist, einen Parkplatz zu finden. "Da ist es meistens tatsächlich praktischer, man fährt mit Uber. Oder nimmt die Metro."

Die beiden jungen Männer wirken zufrieden. Sie arbeiten als Fitnesstrainer, eigene Autos gehören nicht zwingend in ihre Lebensplanung. Lieber wäre ihnen, der Staat würde den öffentlichen Nahverkehr schneller ausbauen, weil das nicht nur den Alltag erleichtert, sondern auch die Luft weniger verpestet. "Es stimmt schon, dass viele Inder im Auto noch immer ein Statussymbol sehen", sagt Sharma. "Aber das sind längst nicht mehr alle."

Der Marketing-Chef von Maruti-Suzuki, Shashank Srivastava, bezweifelt allerdings, dass es die neuen Gewohnheiten junger Konsumenten sind, die der Autobranche so stark zusetzten. Das Auto sei immer noch Zeichen eines "Aufstiegswillens", zitierte ihn die Zeitung Firstpost. Das gelte, bis detaillierte Studien in Indien das Gegenteil beweisen würden.

Die meisten Ökonomen ziehen ein ganzes Geflecht von Faktoren in Betracht, die sich ungünstig auf den Autoverkauf auswirken: Die hohe Steuer- und Abgabenlast zählt beispielsweise dazu und höhere Versicherungsprämien. Die Regierung hat deshalb bereits ihren Plan aufgeschoben, die Zulassung teurer zu machen.

An der Autobranche hängen in Indien etwa 35 Millionen Jobs, direkt und indirekt

Und auch die Krise im Finanzsektor scheint stark auf den Autosektor auszustrahlen: Für Firmen wie Verbraucher in Indien ist es deutlich schwieriger geworden, Kredite zu bekommen. Schattenbanken, die früher jedes zweite Nutzfahrzeug und jeden dritten Privatwagen finanziert haben, stecken in Schwierigkeiten, viele sind überschuldet und können nicht mehr so leicht Geld bereitstellen. Wer gegenwärtig ein Fahrzeug kaufen will, muss mehr eigene Mittel und Sicherheiten vorweisen als früher. Das bremst den Markt und passt ins generelle Bild: Die Inder sind im Konsum viel zurückhaltender geworden.

Der Einbruch der Autobranche, an der in Indien direkt und indirekt etwa 35 Millionen Jobs hängen, drückt auf die Bilanz der herstellenden Industrie, die Premier Narendra Modi schon während seiner ersten Amtszeit zum Flaggschiff des Aufschwungs machen wollte. Mit dem Slogan "Make in India" wollte er Investoren locken und den Subkontinent zur Werkbank der Welt machen. Doch die hohen Erwartungen haben sich nicht erfüllt.

Nun fordert die Autoindustrie von der Regierung, die Mehrwertsteuer für Autos von 28 auf 18 Prozent zu senken. Das ist bislang nicht geschehen. Stattdessen kündigte die Finanzministerin Ende September an, die Wirtschaft mit einer Senkung der Unternehmensteuer um umgerechnet 20 Milliarden Dollar zu entlasten. Die Branche aber bezweifelt, dass sich damit die Nachfrage anschieben und so die ersehnte Wende herbeiführen lässt.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2019
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