Süddeutsche Zeitung

Indien:Schuldenerlass gegen Suizidwelle

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Die traurigen Berichte über indische Bauern, die aus Verzweiflung über Selbstmord begehen, sorgen weltweit für Schlagzeilen. Die Regierung handelt nun - und befreit 30 Millionen Kleinbauern von ihren Schulden.

Oliver Meiler

Aus Verzweiflung über ihre finanzielle Situation haben sich zahlreiche indische Kleinbauern umgebracht und dadurch weltweit Schlagzeilen ausgelöst. Jetzt reagiert die Regierung und gibt zehn Milliarden Euro aus, um den Landwirten alle Schulden zu erlassen. Bauernverbänden geht diese Geste, mit der die Regierung die Wähler gewinnen will, nicht weit genug.

Manchmal kostet eine gute Pointe viel Geld. Zum Beispiel die Pointe von Palaniappan Chidambaram. Der indische Finanzminister gab am Freitag bekannt, dass der Staat im kommenden Haushalt allen kleinen Bauern im Land alle Schulden erlassen würde. Die Kleinbauern gehören zu den großen Verlierern des Wirtschaftswunders.

Chidambaram brauchte den Höhepunkt seiner Ansprache gar nicht künstlich in die Länge zu ziehen, das Raunen und Grummeln auf den Rängen der regierenden Linken im Parlament in Delhi verwandelte sich auch ohne rhetorische Dramatisierung in einen lauten Chor der Zustimmung. Man hatte diese Ankündigung schon erwartet.

Die traurigen Berichte von Bauern, die aus Verzweiflung über ihre finanzielle Ausweglosigkeit Selbstmord begehen, reißen nicht ab und sorgen weltweit für Schlagzeilen. Als klein gelten nach der Definition des Ministers jene Bauern, die nicht mehr als zwei Hektar bewirtschaften. Es sind etwa 30 Millionen. Den Bauernverbänden geht die große Geste nicht weit genug, doch gilt sie als einzigartig in der Geschichte Indiens. Sie kostet den Staat zehn Milliarden Euro.

Indien kann sich solche Geschenke gut leisten, seine Volkswirtschaft wuchs in den vergangenen drei Boomjahren mit Schüben von jeweils neun Prozent, die Steuereinnahmen stiegen gleichzeitig mit erstaunlich hohen Raten, die Auslandsinvestitionen ebenfalls. Doch das allein erklärt noch nicht, warum die Regierung den Schuldenerlass gerade jetzt auflegt.

Der Zeitpunkt hat einen durchsichtigen, politischen Hintergrund: Spätestens bis Mitte nächsten Jahres finden in Indien Parlamentswahlen statt. Es ist dies Chidambarams fünftes und letztes Budget. Und manchen Ökonomen dünkte es, als habe sich "PC", wie der erfolgreiche Finanzminister kurz genannt wird, alle seine Ressourcen für dieses letzte, recht populistische und soziale Budget der Legislaturperiode aufgehoben.

Mächtig geworben wird nicht nur um die Wählergunst der kleinen Bauern, sondern auch um jene von unteren Kasten in armen Bundesstaaten wie Bihar oder Orissa. Subventionen fließen in die Entwicklung rückständiger Regionen. Angehoben werden auch die Ausgaben für die Bildung, nämlich um beachtliche 20 Prozent. Den Studenten werden Stipendien versprochen, den Senioren höhere Renten. Medikamente sollen um bis zu 10 Prozent billiger und das gesamte Gesundheitswesen erschwinglicher für die Minderprivilegierten werden.

Aktienkurse steigen

Billiger werden auch kleine Autos, weil der Staat auf Steuern verzichtet, auch solche mit umweltfreundlichen Motoren, die jedoch erst noch gebaut werden müssten. Kleinverdiener und Mittelständler bezahlen künftig weniger Steuern, dafür steigen die Abgaben auf Aktiengewinne. Die Börse in Mumbai reagierte stark auf jede einzelne Ankündigung des Ministers - mal positiv, mal mit Kurseinbrüchen.

Viel ungeteilte Freude macht der Haushaltsplan dagegen der kommunistischen Linken in der Regierungskoalition. Und auch das ist beabsichtigt. Die Kommunisten hatten sich zuletzt heftig überworfen mit ihrem Seniorpartner, der Kongresspartei von Sonia Gandhi, und drohten gar mit einem Bündnisbruch. Im Zentrum des Streits steht ein Nuklearabkommen mit den USA, das Indien zu mehr ziviler Atomkraft verhelfen soll. Das gefällt den Linken aber nicht.

Hätten die Kommunisten die Regierung frühzeitig verlassen, wären die Inder bald zu vorgezogenen Neuwahlen geladen worden. Und dann wären wohl alle Pointen und Gesten des Finanzministers, aufgespart für das letzte Regierungsjahr, zu spät gekommen. Deshalb kommt der Schuldenerlass politisch genau zum richtigen Zeitpunkt.

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SZ vom 01./02.03.2008/grc
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