Süddeutsche Zeitung

Immobilienkredite:Sparen wieder populär

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Die Schuldenlast wächst schneller als die Wirtschaft. Das birgt Risiken, warnt der Wirtschaftshistoriker Moritz Schularick.

Interview von Markus Zydra

Moritz Schularick, 40, erklärt die Hintergründe des globalen Schuldenwachstums. Er ist Professor für Volkswirtschaft an der Universität Bonn.

SZ: Herr Schularick, früher hat der Pumpkapitalismus noch funktioniert?

Moritz Schularick: Ja, wir hätten diesen Wohlstand in den westlichen Industriegesellschaften ohne Finanzschuldensystem nicht erreicht.

Jetzt wachsen die Schulden schneller als die Wirtschaft.

Das ist ein neues Phänomen. Vom 19. Jahrhundert bis in die 1970er-Jahre war die Schuldenlast im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung relativ konstant. Doch danach sind die Schulden durch die Decke gegangen. Die globalen Schuldenstände der Staaten, Unternehmen und Privathaushalte sind im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung so hoch wie nie zuvor in der Geschichte.

Wer steht denn da besonders stark in der Kreide?

Es sind die Privathaushalte in den Industriestaaten, die sich in den letzten 40 Jahren extrem verschuldet haben, um mit dem Geld Immobilien zu kaufen.

Aber die Staatsverschuldung gilt doch als das viel größere Problem?

Das ist ganz klar eine Fehlwahrnehmung. Zu Zeiten der industriellen Revolution in Großbritannien im 19. Jahrhundert lag die Staatsschuldenquote bei fast 300 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Auch nach den beiden Weltkriegen lag die öffentliche Verschuldung in Deutschland und anderen Staaten wesentlich höher als heute. Westliche Demokratien waren historisch ziemlich erfolgreich, ihre Finanzen zu managen.

Woran liegt das?

In der Demokratie wählen Bürger ihre Volksvertreter. Das führt zu einer Einheit von Schuldner und Gläubiger. Das Volk nimmt über die Regierung einen Kredit auf, und das Volk muss dafür geradestehen. Wenn die Staatsschulden zu lange ansteigen, dann regt sich Widerstand. Die Politik grenzt die Verbindlichkeiten ein. Das ist historisch nachweisbar. Genau das passiert ja gerade in Europa. Sparsamkeit wird populär. In Entwicklungsländern und autokratischen Herrschaftssystemen ist das nicht unbedingt so.

Wie effizient ist der Schuldenkapitalismus eigentlich?

Wenn die Kredite in produktive Investitionen fließen, dann sieht man Wachstumseffekte. Doch genau das passiert zurzeit nicht. Privatleute machen Schulden, um Immobilien zu kaufen. So steigt vielleicht der Quadratmeterpreis für Grund und Boden in München. Aber das hat nichts mit Produktivitätszuwachs zu tun.

Wer soll sich stattdessen verschulden?

Die Unternehmen für produktive Investitionen und auch der Staat - zumindest für Investitionen. Deutschland, Großbritannien und die USA hätten sicher Spielraum, über Neuverschuldung die Konjunktur anzukurbeln, etwa durch Infrastrukturprojekte. Die Zinsen sind so niedrig, dass sich viele Investitionen rentieren würden.

Die Regierungen haben gar nicht so viel falsch gemacht?

Man muss sich vergegenwärtigen, dass die Staatsschulden seit 2008 vor allem wegen der Finanzkrise gestiegen sind. Und die Finanzkrise brach aus, weil sich die Privathaushalte überschuldet haben. Genau das passiert derzeit wieder in den Industriestaaten. Die Immobilienpreise steigen, die Verschuldungshebel auch. Aus diesem Kreislauf sind wir nicht rausgekommen.

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SZ vom 05.01.2016
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