Süddeutsche Zeitung

Illegale Preisabsprachen:Schienenkartell: Deutsche Bahn treibt Hunderte Millionen Euro Schadenersatz ein

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Der Stahlkonzern Vossloh zahlt Entschädigungen in zweistelliger Millionenhöhe an die Bahn. Es geht um einen der spektakulärsten Fälle von Preisabsprachen in Deutschland.

Von Markus Balser, Berlin

Ihre Treffen blieben geheim. Sie sollen ihre Identität mit Decknamen verschleiert haben. Sie nannten sich "Domina", "Hannibal Lecter" oder "Wächter der Schiene" und telefonierten mit Prepaid-Handys, um nicht aufzufliegen. 14 Stahlmanager sollen in den vergangenen Jahren das Schienenkartell gebildet haben, das zu einem der spektakulärsten Fälle von Preisabsprachen in Deutschland wurde und derzeit vor Gerichten aufgearbeitet wird. Der Schaden ist immens.

Mindestens von 2006 bis 2011 sollen sich die Manager über Preise und Mengen auf dem deutschen Schienenmarkt abgesprochen und so den Wettbewerb ausgehebelt haben. Folge: Kunden des Schienenkartells, vor allem die Deutsche Bahn, aber auch Nahverkehrsbetriebe, kauften zu teuer ein. Allein die Bahn soll einen dreistelligen Millionenbetrag verloren haben. Insgesamt hat das Bundeskartellamt gegen die beteiligten Firmen fast 200 Millionen Euro an Bußgeldern verhängt. Gerade hat es den Fall mit einem 3,5 Millionen-Euro-Bußgeld gegen die Vossloh-Tochter Laeis abgeschlossen.

Die wahren Kosten aber liegen für die Beteiligten noch deutlich höher. Denn die Deutsche Bahn forciert nach Informationen der Süddeutschen Zeitung das Eintreiben ihrer Forderungen gegen die Beteiligten. Sie hat sich nun auch mit Vossloh auf einen Vergleich verständigt. Das Unternehmen zahlt einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag an die Bahn. Thyssen-Krupp hatte als größter Lieferant bereits 150 Millionen Euro auf die Bahnkonten überwiesen, auch Voestalpine hat gezahlt.

"Auch im Interesse der Steuerzahler"

Die Bahn-Spitze sieht das als Erfolg der eigenen Aufklärung. "Wir bleiben konsequent in der Verfolgung unserer Ansprüche wegen rechtswidriger Kartellabsprachen", sagt Ronald Pofalla, Vorstand Wirtschaft, Recht und Regulierung. "Das ist vor allem auch im Interesse der Steuerzahler, deren Ansprüche wir vertreten. Denn es sind auch öffentliche Mittel, mit denen Schieneninfrastruktur finanziert wird."

Die Bahn sieht nun weitere Beteiligte am Zug. "Wir erwarten jetzt, dass sich nun auch Moravia Steel - als letzter verbliebener Kartellbeteiligter - seiner Verantwortung stellt und einen angemessenen Ausgleich zahlt."

In der Zentrale der Bahn am Potsdamer Platz läuft ein bundesweites Modellprojekt zur Kartellbekämpfung: Als erster Konzern ging die Bahn mit Spezialermittlern gegen Wettbewerbsverstöße vor. Ziel der Abteilung CRK4: Fünf Juristen und ein Ökonom sollen unter Leitung von Tilman Makatsch Schadenersatz überall da eintreiben, wo die Bahn durch gesetzeswidrige Preisabsprachen geschröpft wurde.

Auch von Airlines verlangt die Bahn milliardenschweren Schadenersatz

60 Verdachtsfälle schauen sich die Fachleute derzeit an, in 20 fordern sie Geld. Der Konzern ist von Preisabsprachen besonders betroffen, denn er ist einer der größten Einkäufer im Land. In den vergangenen Jahren sei das Staatsunternehmen wohl um einen Milliardenbetrag betrogen worden, sagt Makatsch. Dieses Geld wolle man zurückholen.

Das Schienenkartell ist der bisher größte Erfolg. Derzeit laufen noch mehrere andere Prozesse, neben Deutschland auch in Großbritannien, den Niederlanden, den USA oder Frankreich. Mal geht es um zu teure Karbonbürsten für die Stromabnehmer von Lokomotiven, mal um den Kampf gegen überteuerte Preise in der Luftfracht. Von der Lufthansa und einem guten Dutzend weiterer Airlines verlangt der deutsche Staatskonzern milliardenschweren Schadenersatz.

Vor Gericht muss der Schaden exakt beziffert und nachgewiesen werden

Im Fall des Schienenkartells läuft derzeit noch die strafrechtliche Aufarbeitung. Bisher sind hohe Schadenersatzzahlungen bei Kartellen die große Ausnahme - selbst in Fällen, in denen rechtskräftige Bußgeldbescheide des Bonner Bundeskartellamtes oder der Brüsseler EU-Kommission vorliegen. Das Problem: Vor Gericht muss der Schaden exakt beziffert und nachgewiesen werden, was lange dauern kann. Die ausgenommenen Unternehmen bekämen nicht automatisch ihr Geld zurück, sagt Makatsch.

Überführte Kartellsünder arbeiteten oft mit Behörden zusammen, ließen die geschädigten Kunden aber abblitzen. Immer weniger Konzerne wollen sich das bieten lassen und gründen eigene Kartellabteilungen, wie jetzt die Bahn. Zu den Nachahmern zählen etwa die Metro oder Daimler.

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SZ vom 21.03.2016
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