Süddeutsche Zeitung

Heizen:Ran an die Tiefpreise

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Erdgas ist so günstig wie seit 2005 nicht mehr. Grund genug, den Versorger zu wechseln und Geld zu sparen. Auch Mieter können profitieren, wenn sie ihren Eigentümer informieren.

Von Berrit Gräber, München

Der Sommer geht. Die Heizsaison lässt vermutlich nicht mehr lang auf sich warten. Ein guter Zeitpunkt für Erdgasnutzer, zu einem günstigeren Energieversorger zu wechseln. Es lohnt sich. Denn: Verbraucher zahlen jetzt so wenig für Gas wie seit etwa zwölf Jahren nicht mehr, wie Hermann-Josef Tenhagen vom Verbraucherportal Finanztip betont. Familien, die zum ersten Mal den Anbieter wechseln, könnten locker 400 Euro im Jahr einsparen. Der durchschnittliche Gaspreis fiel im August auf 5,76 Cent pro Kilowattstunde (kWh), hat das Vergleichsportal Verivox berechnet. Er ist damit 4,3 Prozent günstiger als noch vor einem Jahr - und 16 Prozent billiger als 2013. Das derzeitige Preisniveau sei mit jenem im Herbst 2005 vergleichbar, sagt Mathias Köster-Niechziol, Energieexperte bei Verivox.

Viele Verbraucher wüssten gar nicht, dass die Preise derzeit so günstig sind, ist Tenhagen überzeugt. Ein Großteil der Gasversorger gab den billigeren Gaspreis in den vergangenen Jahren auch nicht offensiv an die Kunden weiter. Zumindest nicht in dem Maß, wie es der Markt zugelassen hätte. Einen Grund für den anhaltenden Sinkflug des Brennstoffpreises sehen die Verivox-Experten im internationalen Überangebot. Immer mehr Akteure wie beispielsweise die USA drängten auf den Markt. Das führte zu grundlegenden Veränderungen. "2005 waren mehr als 70 Prozent der Verträge im Gasgroßhandel in Nordwesteuropa ölpreisgebunden. Inzwischen liegt ihr Anteil bei unter zehn Prozent", erklärt Köster-Niechziol.

Knapp 20 Millionen Haushalte heizen in Deutschland mit Erdgas. Jeder, der einen eigenen Gas-Vertrag hat, könne sich grundsätzlich einen billigeren Lieferanten suchen, ermuntert auch Carla Groß, Energieexpertin der Verbraucherzentrale Sachsen, zum Handeln. Wer nicht gleich ganz umsatteln will, solle den bisherigen Versorger nach besseren Tarifen fragen. Die gibt es nicht automatisch. "Gaskunden können mit einem Anbieterwechsel bis zu mehrere hundert Euro im Jahr sparen", erläutert Thomas Engelke, Energieexperte des Bundesverbands der Verbraucherzentralen vzbv. Bislang seien aber erst 22 Prozent der Gaskunden überhaupt zu einem günstigeren Anbieter gewechselt.

Am stärksten lohnt sich ein Umstieg für Bürger, die noch nie gewechselt haben. Die also seit eh und je den Grundversorgungstarif ihres lokalen Anbieters wie etwa den örtlichen Stadtwerken oder Eon zahlen, und das ist meist das teuerste Angebot. Ihnen könne ein Wechsel im besten Fall 712 Euro im Jahr an Ersparnis bringen, je nach Region, hat das Vergleichsportal Check24 vorgerechnet. Ein Beispiel: Ein Vier-Personenhaushalt in Wermelskirchen, Nordrhein-Westfalen, zahlt in der Grundversorgung derzeit 1975 Euro pro Jahr (bei einem Verbrauch von 20 000 Kilowattstunden). Bei den zehn günstigsten Alternativanbietern kostet die gleiche Menge Gas den Berechnungen von Check24 zufolge durchschnittlich aber nur etwa 900 Euro.

Vor allem ältere Kunden scheuten häufig davor zurück, sich nach einem günstigeren Lieferanten umzuschauen, sagen die Verbraucherschützer. Dabei ist der Wechsel gerade für Kunden in der Grundversorgung einfach und obendrein schnell erledigt. Sie können mit einer Frist von zwei Wochen zum Monatsende aus ihrem Vertrag raus. Für jene, die schon einmal gewechselt haben, ist mehr zu beachten. Sie gelten als Sonderkunden (im Vertrag stehen dann Begriffe wie "Sonderpreis" oder "Sondertarif"). Sie müssen deshalb ihre individuellen Laufzeiten und Fristen einhalten, um ihren Vertrag zu kündigen. In der Regel aber reicht ein Blick in den Vertrag, um diese Frage zu klären.

Wer umsteigen will, kann mit kostenlosen Vergleichsrechnern im Internet nach Alternativen suchen. Verbraucherschützer empfehlen dafür unter anderem die Portale www.verivox.de, www.toptarif.de, www.check24.de oder www.wer-ist-billiger.de. Am besten vorher schon den eigenen Gasverbrauch des Vorjahres raussuchen, die Nummer des Zählers und die bisherige Kundennummer parat haben. Das alles steht auf der letzten Rechnung. Über die Eingabe der Postleitzahl werden innerhalb von Sekunden die günstigsten Anbieter angezeigt, einschließlich Sparpotenzial, Informationen über die neue Firma und deren Vertragsbedingungen. Der neue Anbieter erledigt den Wechsel automatisch. Alternative: Den bisherigen Gaslieferanten telefonisch nach besseren Tarifen fragen. Auch das kann jede Menge Einsparung bringen. Bürger ohne Internetanschluss können sich in den Verbraucherzentralen beraten lassen.

Länger als ein Jahr sollte ein neuer Vertrag nicht dauern. Das hält Kunden flexibel

Wechselwillige brauchten keine Angst zu haben, dass ihnen der Gashahn zugedreht wird, versichert Groß von der Verbraucherzentrale Sachsen. Das Risiko liegt bei null, der Übergang ist ein reiner Verwaltungsakt. Aber: Gaskunden sollten superbillige Tarife eher meiden. Manche Anbieter locken mit Neukundenboni, die den Preis im ersten Jahr sehr günstig erscheinen lassen. Doch die Guthabenerstattung wird oft verzögert oder verweigert. Im zweiten Vertragsjahr kann es plötzlich sehr teuer werden. Anbieter, die auch ohne Boni günstiges Gas liefern, seien erste Wahl, betont Tenhagen. Länger als ein Jahr sollte ein neuer Vertrag nicht dauern, die reguläre Kündigungsfrist nicht mehr als einen Monat. So bleiben Kunden flexibel.

Auch die vielen Millionen Mieter und Wohnungseigentümer mit Gas-Zentralheizungen im Haus können versuchen, von den Tiefpreisen zu profitieren. Wer als Miteigentümer keinen eigenen Gasvertrag hat, kann zum Beispiel die Eigentümergemeinschaft auf die günstige Lage aufmerksam machen und einen Versorgerwechsel anregen.

Auch Mieter sollten aktiv werden und ihren Vermieter oder die Hausverwaltung ansprechen, betont Groß. Zwar gibt es keinen Rechtsanspruch auf Günstig-Energie. Vermieter sind jedoch dem Gebot der Wirtschaftlichkeit verpflichtet. Und hier gilt: Betriebskosten sind laut Paragraf 556 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) niedrig zu halten.

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Quelle:
SZ vom 05.09.2017
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