Süddeutsche Zeitung

Grundsteuer:"Äpfel mit Betonpfeilern"

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Die Grundsteuer muss reformiert werden - aber dürfen einzelne Bundesländer eigene Regeln bekommen? Darüber haben Juristen gestritten. Jetzt sind wieder Politiker dran.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Ohne jetzt Juristen zu nahe treten zu wollen - aber für alle Nichtjuristen im Anhörungsraum des Bundesfinanzministeriums war es am Freitag schon eine besondere Herausforderungen, den detaillierten Begründungen von vier unabhängigen Experten des Faches konzentriert zu folgen. Die Referate galten der Frage, ob es einer Änderung des Grundgesetzes bedarf, damit das neue Gesetz zur Erhebung der Grundsteuer eine Klausel bekommen kann, die es einzelnen Länder freistellt, abweichende Regeln zu treffen. Nach drei Stunden war die Anhörung vorbei - und alle Teilnehmer so schlau wie zuvor. "Jede Seite hatte Befürworter und Kritiker", sagte ein Teilnehmer. Es bestehe nun "die Erwartung, dass sich der Koalitionsausschuss der Grundsteuer annimmt". Das Entscheidungsgremium der Partei- und Regierungsspitzen soll am nächsten Dienstag zusammenkommen.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung mit der Reform der Grundsteuer beauftragt und dafür eine Frist bis Ende des Jahres gesetzt. Ist das Gesetz bis dahin nicht reformiert, fällt die Steuer ersatzlos weg. Das würde in die Haushaltsplanungen der Gemeinden riesige Löcher reißen; sie nehmen über diese Steuer jährlich 14 Milliarden Euro ein.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt. Danach soll in die Berechnung der Grundsteuer auch künftig eine wertabhängige Komponente einfließen. Scholz will dazu Vergleichsmieten heranziehen und den Bodenrichtwert. Damit will Scholz die Anforderung des Bundesverfassungsgerichts erfüllen - die Richter hatten die bisherige Erhebung der Grundsteuer als ungerecht eingestuft; vor allem, weil die Bodenrichtwerte aus den Jahren 1935 und 1964 zugrunde gelegt worden.

Der Gesetzentwurf von Scholz ist heftig umstritten. Bayern und CSU lehnen ihn komplett ab. Sie fordern eine Öffnungsklausel, um selbst eine abweichende Regelung treffen zu können. Scholz ist nicht abgeneigt, der Bitte zu entsprechen, weißt aber darauf hin, dass dazu eine Grundgesetzänderung nötig sei. Das sieht die Union anders. Scholz hatte wegen des juristischen Streits für diesen Freitag die Expertenanhörung einberufen.

Nach dem Treffen hieß es, "die juristisch durchleuchteten" Positionen müssten sich nun setzen. Die Debatte sei teilweise hitzig geführt worden, einige Nichtjuristen im Raum hätten "Äpfel mit Betonpfeilern" verglichen. Nun müsse wieder eine politische Lösung gesucht werden; man hofft, im Koalitionsausschuss einen Kompromiss zu finden. Um bis Ende des Jahres fertig zu werden, müsse der Gesetzesvorschlag vor der Sommerpause im Kabinett beschlossen werden.

Aus Teilnehmerkreisen war zu erfahren, das sich grundsätzlich alle Beteiligten einig seien, fristgemäß fertig werden zu wollen. Niemand will riskieren, dass die Gemeinden ohne Einnahmen dastehen.

Der Lobbyverband der deutschen Industrie erhöhte am Freitag den Druck. "Der Bundesregierung läuft die Zeit davon", warnte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. Er forderte eine "praxistaugliche und bürokratiearme Reform". Es dürfe "keine Steuererhöhungen durch die Hintertür" geben. Die Berechnung der Grundsteuer anhand von Bodenrichtwerten sei "der falsche Ansatz". Für Industriegrundstücke gebe es oft gar keine - oder sie führten zu überhöhten Wertansätzen. Eine "unbürokratische Wertkorrektur" müsse eingeführt werden.

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SZ vom 11.05.2019
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