Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Kretas Krise

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Die griechische Insel bekommt die wirtschaftlichen Probleme zu spüren. Der Tourismus lahmt, mit Oliven und Orangen ist oft nicht viel zu verdienen. Und jetzt auch noch das Referendum. Ein Besuch.

Von Michael Kuntz, Heraklion

Chloe Dimitriadis, 25, wirkt ziemlich optimistisch an diesem Vormittag - trotz des Debakels um die griechischen Staatsschulden, das den Alltag auch auf Kreta prägt. Chloe steht im schwarzen Sommerkleid neben dem Produktionsgebäude auf einem Hügel im dicht bewachsenen Nichts bei Kolymbari im Westen der Insel. Oliven- und Orangenbäume, das ist hier alles. Sie erklärt, warum das allerbeste Olivenöl noch besser sei als das beste. Sie spricht über das organische Biolea-Olivenöl vom Astrikas Estate ihrer Familie, und die Gäste aus Deutschland lauschen. Sie werden später ein paar Fläschchen Öl, mit Zitronen oder Orangen aromatisiert, kaufen. Doch das ist eigentlich egal.

Denn Familie Dimitriadis hat ihren eigenen Weg aus der Finanzkrise gefunden. Jahrelang lieferte der kretische Olivenbauer seine Ernte in großen Mengen nach Italien und Spanien, wo sie zu Marken gemixt wurde, die dann in den Supermärkten landeten als Öl aus Italien oder Spanien. Bei diesem auf große Mengen angelegten Geschäftsmodell blieb kretisches Öl lange unbekannt. Und das, obwohl fünf Prozent der Weltproduktion an Speiseöl von der Insel stammen - dem günstigen Klima sei dank.

Doch das Ölgeschäft geht auch anders. Nun exportiert die Familie Dimitriadis ihr Öl vor allem nach Japan, die Vereinigten Staaten und Belgien - also genau in die Länder, wo nicht nur die Nachfrage noch Bio-Öl hoch ist, sondern auch die Bereitschaft, dafür mehr zu bezahlen als etwa im Deutschland der Aldi- und Lidl-Kundschaft. Japan und die USA, das sind die Traummärkte für Hersteller von Nahrungsmitteln weltweit. Doch natürlich spielen auch die Deutschen eine große Rolle für die Wirtschaft auf Kreta, der Insel, die ihre Vorfahren während des Zweiten Weltkrieges verwüsteten und drei Jahre lang besetzt hielten.

Voriges Jahr waren im August 100 000 Deutsche da, im März nur 604

Seitdem sind sechs Jahrzehnte vergangen und im Wirtschaftsleben sind Menschen aktiv, die dieses Grauen nicht selbst erleben mussten, es aber aus den Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern kennen. Selbstverständlich ist es also nicht, wenn der ältere Mann in einer Großhandlung für Handwerkerbedarf inmitten der Altstadt von Chania spontan sagt: "Wir lieben die Deutschen, sie bringen uns Geld."

So ist es. Auf Kreta hängen heute mehr als 40 Prozent aller Arbeitsplätze am Tourismus, die meisten zahlenden Gäste kommen aus Deutschland. Im vorigen Jahr reisten 550 000 Bundesbürger mit dem Flugzeug nach Kreta, das waren ebenso viele wie aus den skandinavischen Ländern, gefolgt von 366 000 Engländern.

Das Geschäft mit Sonne und Strand, Buffets und Bars findet zu einem großen Teil in den mitunter riesigen Hotelanlagen statt. Es sind abgeschlossene Freizeitwelten mit Ladenstraßen und ausgefeilten gastronomischen Angeboten. Der wirtschaftliche Druck auf der Insel war schon immer hoch. Die Saison geht von Anfang April bis Ende Oktober. Voriges Jahr waren im August 100 000 Deutsche da, im März nur 604. Die Hoteliers würden gern die Saison verlängern, das Wetter sei ja immer gut. Aber sie sind darauf angewiesen, dass die Fluggesellschaften auch Verbindungen anbieten.

Schlecht ist es auch, wenn die All-inclusive-Gäste doch mal die Anlage verlassen und dann in der Umgebung nichts finden zum Einkehren oder Einkaufen. Weil der Pauschaltourismus in Ferienresorts und die Finanzkrise etlichen Tavernen und Läden die Grundlage entzogen haben. Daher gibt es Hoteliers, die Geschäfte und Cafés in der Nähe gleich selbst gründen und betreiben. In der Krise sind alle misstrauischer geworden, der Rhythmus hat sich verändert. Früher mussten Hoteliers ihren Lieferanten nach vier Wochen zahlen, heute nach sieben Tagen oder sogar im Voraus.

Trotz Krise auf den Plantagen bleibt so manche Orange am Baum, vor allem in Jahren mit einer guten Ernte. Denn die Preise für Orangen und Oliven sind gesunken, so stark, dass die Lohnkosten inzwischen mitunter höher sind als das, was mit den Früchten zu verdienen ist. Selbst Familie Dimitriadis muss den Preis für ihr Biolea stabil halten - seit zehn Jahren.

Trotz aller Widrigkeiten ist in der kreuzförmig gebauten Markthalle von Chania und in der Altstadt um sie herum viel los. Viele Ladenbesitzer haben sich mit der Krise arrangiert. "Ich habe Bargeld bei mir zu Hause, hier im Laden und auf der Bank in Zypern", dabei deutet der T-Shirt-Händler unter den Ladentisch. Auf das Referendum angesprochen, sagt er: "Europa ist schön, und wir wollen dabei sein. Die Regierung und das Volk sind zweierlei."

Ganz in der Nähe auf dem Platz vor der historischen Markthalle formiert sich der Protest gegen die internationalen Geldgeber. Am Sonntagabend kamen einige Tausend Menschen zusammen, um Ministerpräsident Tsipras in Athen Solidarität zu bekunden. Tradition haben hier allerdings eher Demonstrationen gegen die jeweilige Regierung in Athen.

Wer gründen will, muss ins Ausland gehen. Die Banken haben kein Geld zu verleihen

Die Kreter sind ein wenig wie die Korsen in Frankreich. Wie diese Insulaner pflegen sie eine kritische Distanz zur Zentralregierung auf dem Festland. "Wir auf Kreta hatten schon manchmal das Gefühl, dass Athen hier zu viel Geld herausgezogen hat", sagt der Manager eines großen Hotels. Er findet es auch ungünstig, "dass sich die Krise jetzt im Sommer zuspitzt". Finanzminister Varoufakis hätte als Ökonomie-Professor das Timing seines politischen Krawallkurses schließlich mit etwas mehr Gefühl für den Tourismus als wichtigem Wirtschaftszweig steuern können.

Die Zeiten sind generell schwierig, nicht nur im Tourismus. In Griechenland mit seiner Jugendarbeitslosigkeit um die fünfzig Prozent ist es selbst für gut ausgebildete junge Menschen schwierig, ein Unternehmen zu gründen. Wer am Boom der Start-ups teilhaben will, muss auswandern. Die Banken im Heimatland brauchen selbst Geld, haben andere Sorgen als die Unterstützung junger Existenzgründer.

Chloe Dimitriadis ist typisch für die gebildeten jungen Griechen, die in den letzten Jahren kühne Lebensträume der Realität anpassen mussten. Ihr Vater ist Grieche, ihre Mutter stammt aus Kanada, und dort studierte sie Politikwissenschaft, eine Ausbildung, die nicht automatisch zu einem Job führt. Also verließ Chloe ihre kanadische Universitätsstadt und zog zurück auf das Hügelland im Westen von Kreta. Ihr jüngerer Bruder studiert noch in Boston. Chloe Dimitriadis sagt: "Ich bin glücklich im Familienunternehmen."

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Quelle:
SZ vom 03.07.2015
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