Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Die Krise ist notwendig

Lesezeit: 4 Min.

Seit Generationen klammert sich die griechische Elite hartnäckig an Macht und Privilegien. Es ist Zeit, dass die herrschenden Eliten durch ein politisches Erdbeben hinweggefegt werden.

Gastbeitrag von Marcel Fratzscher

Die Sorge in Europa über die wirtschaftliche und politische Lage Griechenlands ist groß. Die Wirtschaft befindet sich in einer tiefen Krise. Die mögliche Regierungsübernahme der linken Syriza Partei wird von der griechischen Regierung jedoch als Druckmittel genutzt, um Europa zusätzliche Konzessionen und Hilfen abzuringen. Ein solches Nachgeben wäre ein Fehler, denn Griechenland benötigt nicht weniger als ein politisches Erbeben, um zukunftsfähig zu werden und sich in eine funktionierende Demokratie zu verwandeln. Für diesen Zweck könnte sich die gegenwärtige politische Krise als hilfreich erweisen.

Die Reformbemühungen der griechischen Regierungen in den vergangenen fünf Jahren waren erbärmlich. Kein Land hat je so große finanzielle Hilfe vom Internationalen Währungsfonds (IWF), mit der Europäischen Union (EU), bekommen und sich zudem so vehement gegen die vereinbarten Reformen gewehrt. So schlecht der Ruf der Troika (aus IWF, EU und EZB) in Europa auch sein mag, ohne sie wären viele der dringenden Reformen nicht umgesetzt worden. Und trotzdem stehen viele Reformen noch aus und es fehlt der Wirtschaft noch immer an Wettbewerbsfähigkeit.

Die griechische Staatsverschuldung ist mit einem Niveau von mehr als 170 Prozent der Wirtschaftsleistung bei weitem nicht nachhaltig. Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist es nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem weiteren Schuldenschnitt kommen wird - dieses Mal auf die öffentlichen Kredite Deutschlands und anderer EU-Länder.

Schuld ist einzig die politische Elite

Die Schuld an der fehlenden Zukunftsperspektive und der Reformschwäche liegt einzig und allein bei der politischen Elite des Landes. Nicht nur die griechischen Regierungen der letzten fünf, sondern jene der vergangenen 30 Jahre sind gescheitert, ihr Land zukunftsfähig zu machen. Griechenland wird seit Generationen von einer kleinen Elite regiert, der es wichtiger ist, die eigene Macht zu erhalten und Pfründe zu sichern, als funktionierende Institutionen und eine breite Teilhabe der griechischen Bürger zu schaffen.

Mit den gegenwärtigen staatlichen Institutionen hat Griechenland keine Chance, sich als moderne Demokratie mit einer funktionierenden Marktwirtschaft zu etablieren. Dabei ist das Potenzial des Landes enorm: Es hat viele kreative Unternehmer und Forscher, die aber immer mehr die Flucht ins Ausland wählen, da in ihrem Land Leistung alleine wenig zählt.

Das zweite große Hindernis für Griechenland ist, dass die Reformen noch immer nicht von der politischen Elite und den Menschen akzeptiert werden, sondern als eine fehlgeleitete Einmischung der Europäer angesehen werden. Es ist nicht überraschend, dass die Regierung sich bei fast allen Reformen querstellt und die Schuld für eigene Probleme im Ausland sucht.

Griechenland hat nur dann eine Chance, wenn es sich politisch fundamental erneuert und die notwendigen Reformen als ihr eigenes, bestes Interesse erkennt. Dies erfordert nicht weniger als ein politisches Erbeben, das sich der politischen Elite des Landes entledigt und eine neue Generation von Politikern die Chance für einen Neuanfang gibt. Zu Recht sehen nur wenige in Syriza diese neue Generation. Aber eine Regierungsbildung von Syriza könnte zumindest ein solches politisches Erbeben auslösen, das einen Neuanfang herbeiführt.

Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro birgt große Gefahren für die Eurozone, da es das ohnehin fragile Vertrauen in die europäische Wirtschaft weiter schwächen würde. Es könnte die Staatsschuldenkrise Europas nochmals deutlich vertiefen und ein Entkommen aus der Rezession verzögern. Syriza mag politisch radikal sein, aber Tsipras und seine Partei werden smart genug sein zu verstehen, dass ein Euroaustritt oder ein unkontrollierter Schuldenschnitt zu einer Katastrophe vor allem für Griechenland führen würden.

Was können Europa und Deutschland tun? Zum einen sollten sie den Druck auf die nächste griechische Regierung aufrechterhalten, damit diese sich an bestehende Absprachen hält. Vor allem aber sollte man Griechenland helfen endlich, Eigenverantwortung für ihre Reformen zu übernehmen. Das Land hat nur dann eine Zukunftschance, wenn die Politik und die Menschen verstehen, dass grundlegende institutionelle, politische und wirtschaftliche Reformen in ihrem ureigensten Interesse sind.

Es besteht kein ausreichender Spielraum für eine weitere Erleichterung der Kreditkonditionen für Griechenland. Denn die Laufzeit der Kredite der europäischen Gläubiger liegt bereits jetzt bei über 30 Jahren, und die durchschnittlichen Zinsen bei 1,5 Prozent. Europa sollte deshalb Griechenland aus dem Rettungsprogramm entlassen und lediglich mit technischer Unterstützung zur Seite stehen. Ein großer Teil der bestehenden öffentlichen Kredite sollte so umstrukturiert werden, dass Zinszahlungen an das griechische Wirtschaftswachstum gekoppelt sind. Wenn das Land nicht wächst, dann fallen auch nur sehr geringe oder keine Zinszahlungen an. Wenn das Land sich wieder erholt und floriert, dann steigen auch die Zinsen auf die noch ausstehenden Kredite.

Eine Regierung unter Syriza als Chance

Eine DIW Studie zeigt, dass eine solche Indexierung der europäischen Kredite zahlreiche Vorteile hätte. Zum einen würde es die Zahlungsfähigkeit Griechenlands verbessern, und damit das Ausfallrisiko auch für den deutschen Steuerzahler reduzieren. Die höhere Zahlungsfähigkeit reduziert zudem die Risikoprämien und verbessert die Solvenz und die wirtschaftliche Erholung. BIP-indexierte Kredite würden vor allem die Anreize für Griechenland stärken Verantwortung für die eigenen Reformen zu übernehmen. Die Beziehung zwischen Griechenland und seinen Gläubigern, vor allem Deutschland, würde sich normalisieren. Keine Troika würde der griechischen Regierung Reformvorgaben aufdrängen. Und diese hätte keinen Vorwand mehr, Europa für die eigenen Fehler verantwortlich zu machen. Die Griechen würden realisieren, dass die Zukunft in ihren Händen liegt.

Deshalb sollte man die Krise und eine mögliche Regierung unter Syriza als Chance verstehen. Das könnte zwar kurzfristig wirtschaftlichen Schaden anrichten - aber eben auch eine Erneuerung anstoßen, die mittelfristig eine solche Regierung an die Macht bringt, die das Land auf den Pfad hin zu einer funktionierenden Demokratie mit einer modernen Wirtschaft führt.

Europa und Deutschland sollten diese Erneuerung unterstützen, indem sie die Reformprogramme formal beenden, aber das Land weiter technisch unterstützen, damit Griechenland sich endlich mit den eigenen Reformen identifiziert.

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Quelle:
SZ vom 31.12.2014
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