Süddeutsche Zeitung

Gleichstellung:30 Jahre deutsche Ungleichheit

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Im Osten ist die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern geringer und weniger Frauen arbeiten in Teilzeit. Die Westdeutschen hängen mehr an traditionellen Rollenbildern.

Von Helena Ott, München

Dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es immer noch kulturelle Unterschiede zwischen west- und ostdeutschen Bundesländern. Deutlich zeigen sich diese in der Ungleichheit zwischen Frauen und Männern auf dem Arbeitsmarkt. Im Westen verdienen Frauen auch im Jahr 2019 noch 21 Prozent weniger pro Arbeitsstunde als Männer.

Die Lohnlücke im Osten liegt dagegen nur bei sieben Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Report zum Stand der Gleichstellung in Ost- und Westdeutschland der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Die Studie, die am Dienstag vorgestellt wird, offenbart auch die Gründe, warum die Westfrauen nicht weiter zu den fortschrittlicheren Ostfrauen aufschließen konnten.

Sowohl im Westen als auch in Ostdeutschland ist der Anteil von Frauen, die zur Arbeit gehen, vor allem in den vergangenen 20 Jahren stark gestiegen. Ein Jahr nach der Wiedervereinigung, 1991, hatten im Westen nur knapp 55 Prozent der Frauen eine Anstellung, der Rest betreute zuhause die Kinder und kümmerte sich um den Haushalt. Seit 2018 gehen mehr als 72 Prozent der Westfrauen arbeiten. Im Osten lag die Erwerbsquote von Frauen dagegen schon vor 30 Jahren bei knapp 67 Prozent und ist bis 2018 auf 74 Prozent geklettert.

Die neu ausgewerteten Zahlen aus dem Mikrozensus und aus Erhebungen des Statistischen Bundesamts zeigen einerseits, wie sehr sich gerade Westfrauen in den vergangenen 30 Jahren von der rein häuslichen Arbeit verabschiedet haben. Aber der Report ist auch ein weiteres Dokument für die große Ungleichheit am Arbeitsmarkt zu Lasten der Frauen. Und das in allen 16 Bundesländern.

Obwohl in Ostdeutschland über die vergangenen drei Jahrzehnte deutlich mehr Frauen in Vollzeitjobs gearbeitet haben, waren sie trotzdem weitgehend alleine für die Betreuung der Kinder und Arbeit im Haushalt zuständig, sprich: Doppelbelastung statt gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsmarkt. In beiden Landesteilen arbeiten aktuell wesentlich mehr Frauen in Teilzeit als Männer. Sie kümmern sich um Kleinkinder, pflegen Angehörige und bereiten häufiger die Mahlzeiten für die Familie zu.

Doch im Westen ist das traditionelle Rollenbild - der Mann als Hauptverdiener - noch sehr viel verbreiteter als im Osten. Bei Familien mit Kindern sind die Westpaare immer noch besonders konservativ: In 75 Prozent der Fälle arbeitet der Mann in Vollzeit und die Frau in Teilzeit. Im Osten arbeiten dagegen überwiegend Frau und Mann in Vollzeit. Und nur knapp 30 Prozent leben das Modell mit dem Vater als Hauptverdiener.

Die Gründe für den Ost-West-Unterschied sind statistisch gut belegt. Bei Westfrauen mit Kindern geben mehr als 80 Prozent an, dass sie wegen der Kinderbetreuung in Teilzeit arbeiten. Im Osten sagen 60 Prozent der weiblichen Teilzeitbeschäftigten, dass der Grund die Kinderbetreuung ist.

Der aktuelle Report der Hans-Böckler-Stiftung zeigt auch, dass 30 Jahre deutsche Einheit nicht gereicht haben, die Einstellungen zur Kinderbetreuung im Osten und im Westen deutlich anzunähern. Weiterhin ist es im Osten völlig normal, dass auch Einjährige in der Kita betreut werden, während Westeltern mit Kleinkindern immer noch befürchten müssen, in solchen Fällen als Rabeneltern zu gelten. In ihrem ersten Lebensjahr werden im Westen nicht mal ein Drittel der Kinder in Kitas betreut. Im Osten gehen 65 Prozent der Einjährigen regelmäßig in die Kita.

Weit entfernt von Parität sind beide Landesteile auch bei der Vergabe von Führungspositionen. Nicht einmal ein Drittel der Chefposten in der ersten Führungsebene ist in der Hand von Frauen. Da schenken sich Ost- und Westdeutschland nicht viel, auch wenn im Osten die Frauenquote im Top-Manager-Bereich in der Privatwirtschaft um sechs Prozentpunkte höher liegt. Ernüchternd ist der Blick auf die Entwicklung des Frauenanteils in den vergangenen 20 Jahren. Jeweils nur um drei bis vier Prozentpünktchen in Ost und West sind heute mehr Frauen in Führungspositionen als um die Jahrtausendwende.

Die drei Autoren der Gleichstellungsstudie, zwei Frauen und ein Mann, enden ihren Report mit einem Forderungskatalog an die Politik. Weil das Ehegattensplitting falsche Anreize für Frauen setze, in Teilzeit oder Minijobs zu arbeiten, soll es nach Meinung der Autorinnen und des Autors abgeschafft werden. Daneben fordern die Wissenschaftler vor allem in Westdeutschland intensivere Bemühungen von Seiten der Politik, die Kitaplätze aufzustocken.

Um die Dominanz von Männern in Führungspositionen einzuebnen, schlagen die Wissenschaftler der Hans-Böckler-Stiftung vor, das sogenannten Top-Sharing, also das Aufteilen von Chefposten auf zwei Teilzeitkräfte, politisch zu fördern. Und sie plädieren, wie viele andere zivilgesellschaftliche Initiativen, dass Gehälter in der Krankenpflege, Kinderbetreuung und von Sozialpädagogen steigen. Es sind Tätigkeiten, die schon seit jeher in großer Mehrheit von Frauen ausgeübt werden.

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