Süddeutsche Zeitung

Munich Economic Debates:"Wer nicht präsent ist, kann keine Karriere machen"

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Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie treffen Frauen stärker als Männer. Könnte wenigstens die Arbeit im Home-Office auch eine Chance sein? Drei Ökonominnen im Gespräch.

Von Clara Thier, München

"Normale Krisen sind Männerkrisen", sagt die Ökonomin Michèle Tertilt von der Universität Mannheim. Sie träfen vor allem das industrielle Gewerbe, in dem der Männeranteil traditionell hoch ist. Doch die Corona-Krise sei keine normale Krise: Sie belastet Frauen stärker als Männer. Sie trifft diejenigen, die in Branchen wie dem Einzelhandel, der Gastronomie oder im Tourismus arbeiten und die gerade kein Geld verdienen können, genauso wie die Frauen, die zu Hause bleiben und im Home-Office gleichzeitig Kinder betreuen und arbeiten sollen.

Aber könnte die Krise, die Arbeit im Home-Office, auch eine Chance sein? Gemeinsam mit der Münchner Wirtschaftsprofessorin Monika Schnitzer, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, und der früheren Siemens-Vorständin Janina Kugel diskutierte Tertilt über Chancen und Risiken für arbeitende Frauen seit der Pandemie. Zu Gast waren die drei Ökonominnen auf dem digitalen Podium der Munich Economic Debates, einer Veranstaltungsreihe des Ifo-Instituts und der Süddeutschen Zeitung.

Tertilt zeigte anhand von Statistiken, dass viele Frauen durch die Pandemie gezwungen waren, ihre Stunden zu reduzieren oder ihre Arbeit ganz aufzugeben. Die mit höchsten Ehren bedachte Ökonomin hat lange an der Elite-Universität Stanford geforscht, bevor die Universität Mannheim sie für Deutschland zurückgewinnen konnte. Sie greift auch deshalb auf Zahlen aus den USA zurück, weil dort die Arbeitsmarktstatistiken seit Jahrzehnten besser gepflegt werden als in Deutschland. Um ganze 38 Prozent ist die Stundenzahl von Frauen in den USA im Durchschnitt gefallen. Dies gilt besonders für Mütter mit Kindern im Kindergarten- oder Schulalter, die ihre Kinder nun zu Hause betreuen müssen.

Alleinerziehende Mütter, in Deutschland mehr als 1,4 Millionen, seien dabei besonders belastet, sagt Tertilt. Für die Zukunft bedeute dies: Frauen werden mittelfristig noch weniger verdienen als vorher, der Gender Wage Gap wird steigen. Tertilt stellt die These "Telearbeit schützt" auf: Frauen, die Telearbeit machen können, mussten ihre Stunden nämlich kaum mehr reduzieren als ihre männlichen Kollegen. Inwiefern die Doppelbelastung die Produktivität beeinträchtigt, sei jedoch unklar.

Nicht alle Frauen können ins Home-Office

Liegt also die Hoffnung im Home-Office? Ja und nein. "Deutschland lag lange unter seinem Home-Office-Potenzial", betont die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer, durch die Krise habe sich das geändert. Jedoch arbeiten viele Frauen in prekären Dienstleistungsberufen, in denen kein Home-Office möglich ist, wie zum Beispiel im Einzelhandel oder in der Pflege. Das Ziel müsse es sein, mehr Frauen in gut bezahlte Dienstleistungsbranchen wie die IT zu bekommen.

Einen Grund für Optimismus sieht Tertilt in ihrer Analyse: Langfristig könnte die gewonnene Flexibilität in der Arbeit soziale Normen ändern. Im Home-Office könnten also auch Männer besser auf die Kinder aufpassen. Janina Kugel, die das Innenleben von Unternehmen kennt, ist skeptisch: "Ich glaube nicht, dass ein Jahr ausreicht für eine signifikante Verhaltensänderung." Obwohl Kugel Flexibilität im Job befürwortet, bereitet ihr die Möglichkeit zum freiwilligen Home-Office Sorgen: Wenn Frauen im Home-Office arbeiten, um gleichzeitig Kinder zu erziehen, während Männer wieder am Arbeitsplatz auftauchen, verringere dies die Karrierechancen der Frauen. "Wer nicht präsent ist, kann keine Karriere machen", sagt die frühere Vorständin des Siemens-Konzerns.

Die Krise ist neu, die strukturellen Probleme für Frauen sind die gleichen - darin herrscht Einigkeit. Momentan verhinderten vor allem fehlende Kita-Plätze und nicht ausreichende Schulbetreuung die Karriere von Frauen, so Kugel. Tertilt verweist ferner auf das Ehegattensplitting, das es finanziell unrentabel mache, dass zwei Elternteile arbeiten. Wer jünger ist oder zuvor bereits eine Arbeitspause eingelegt hat, bleibt deswegen oft zu Hause - fast immer die Frau.

Und schließlich geht es dann doch wieder um die Quote. Hier sagt auch Ifo-Präsident Clemens Fuest: "Ich sehe keinen anderen Weg als die Quote." Es setze sich bei der Jobvergabe aufgrund von Stereotypen eben nicht der oder die Bessere durch, sondern meistens nur der Ähnlichere. Auch Schnitzer und Kugel halten eine Frauenquote für notwendig, weil sie Stereotypen ändern könne.

Und was wäre, wenn die drei sich jeweils noch ein Gesetz für die aktuelle Legislaturperiode wünschen dürften? Eines, das Frauen wirklich hilft? Statt einmaliger Hilfspakete fordern die Ökonominnen strukturelle politische Veränderungen. Janina Kugel macht sich für einen Gender Budgeting Approach im Bundeshaushalt stark. Der Bundestag sollte also berücksichtigen, welche Auswirkungen geplante Ein- und Ausgaben auf die Situation von Frauen und Männern haben. Das Ziel: Geschlechtergerechtigkeit fördern. Monika Schnitzer fordert sehr viel mehr Geld für Bildung und qualifiziertes Bildungspersonal, um Ungleichheiten durch soziale Herkunft zu verringern. Und Michèle Tertilt plädiert dafür, das Ehegattensplitting vollständig abzuschaffen und durch eine Individualbesteuerung nach schwedischem Vorbild zu ersetzen - damit Paare in Zukunft freier entscheiden können, wer sich um die Kinder kümmert und wer arbeiten geht.

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