Süddeutsche Zeitung

Gipfelstürmer:Der Wahnsinn

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Die Gründerhochschule München fördert unternehmerisches Denken und Handeln. Wer hier mitmachen will, braucht mehr als nur eine gute Idee.

Von Louis Groß, München

Stimmengewirr. Studenten, viele mit einem kühlen Getränk in der Hand, laufen die Korridore entlang. Manche diskutieren mit ausufernden Gesten, andere inspizieren, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, die zur Schau gestellten Prototypen. Es ist ein heißer Sommerabend im Juli und es ist viel los am Start-up-Inkubator des Strascheg Centers, dem Gründerzentrum der Hochschule München. Studenten und Absolventen stellen ihre im Lauf der vergangenen Semester entwickelten Projekte vor. Die Ideen reichen von einem UV-Sensor, der vor Sonnenbrand warnt, über neue Formen der Elektromobilität bis hin zu einer App, die einem das Rauchen abgewöhnen soll. Auf den richtigen "Pitch", also die Kunst, die eigene Geschäftsidee in wenigen Sätzen überzeugend zu präsentieren, komme es an, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, erzählt eine der Studentinnen.

Draußen im Garten, fernab vom Trubel, sitzt Klaus Sailer, Leiter des Strascheg Centers for Entrepreneurship (SCE), auf einer Treppe, die Beine übereinandergeschlagen. "Wir möchten den Hunger wecken, etwas verändern zu wollen", sagt Sailer. Über 1500 junge Menschen aus den Bereichen Technik, Design, Wirtschaft, Architektur und anderen Studiengängen beteiligten sich pro Semester an verschiedenen Projekten - rund drei Prozent davon gründeten später ein Unternehmen.

Die Zahl der Gründungen findet Sailer aber gar nicht so wichtig. "Viel entscheidender ist die Förderung einer unternehmerischen Denkweise", sagt der Institutsleiter und Professor für Entrepreneurship. Unternehmertum sei nicht "per se etwas Gutes". In den vergangenen Jahren sei auch viel Mist gebaut worden. "Unsere Gründer sollen sich die Frage stellen: Wie kann man einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen?" Neben Vorlesungen und Seminaren bietet die Hochschule dafür auch das zehnmonatige Weiterbildungsprogramm "APE" an - für Studenten und Externe. Wer dann eine Idee hat und gefördert werden will, geht zur Gründungsberatung - egal, ob Student, Hochschulmitarbeiter, Alumnus oder Externer.

Den Gründern in spe steht Herbert Gillig mit seinem Team zur Seite. Gillig, der den Bereich Gründungsförderung am SCE leitet, sitzt auf einem Barhocker in der Küche des Inkubator-Gebäudes, hinter ihm stapelt sich schmutziges Geschirr. "Wer eine Idee sucht, muss bei Problemen anfangen", sagt er. Thematisch gebe es dabei keine Einschränkungen. Von Fitness-App über neuartige Snowboard-Bindungen bis zu nachhaltiger Honigvermarktung sei bisher alles dabei gewesen.

Entscheidend für eine Förderung seien vor allem der Innovationsgrad und der Wille, eine Idee auch weiterzuentwickeln, erläutert der Professor. "Um erfolgreich zu sein, braucht es genau die richtige Mischung aus Sturheit und Flexibilität", sagt Gillig. Seit 2005 arbeitet er am SCE, drei Jahre zuvor hatte der Stifter Falk Strascheg das Institut gegründet. Strascheg sei - wie Susanne Klatten bei der Technischen Universität - sicherlich Vorreiter, sagt Gillig, der früher selbst als Unternehmer in der IT-Branche tätig war. München sei mittlerweile ein "schönes Ökosystem" für Gründer.

Ideen und Netzwerke suchen viele Menschen an diesem Abend im SCE-Inkubator. Das Gebäude hat das Flair eines großen Wohnheims, lange Korridore mit vielen Türen links und rechts. Im Obergeschoss hat die "Startup-League" ihre Büros. Dort arbeiten die etwa zwanzig Teams, die über eine Beratung hinaus, also auch finanziell gefördert werden - zum Beispiel über ein Förderprogramm der Hochschule oder über das Exist-Gründerstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums. Wer es bis hierhin schafft, meint es ernst: Hier werden Prototypen gebaut, Finanzierungsstrategien entwickelt und Markteintritte geplant.

Wird ein Team von der Hochschule gefördert, bedeutet das Arbeitsplätze, regelmäßige Treffen mit einem Berater und 2500 Euro Startkapital. "Das ist nicht die Welt, aber es ist ein Vertrauensbeweis", sagt Gillig. Er sieht im SCE einen Ort, der über die Risiken des Gründens aufklärt und gleichzeitig eine Möglichkeit bietet, sich auszuprobieren, ohne dabei der Gefahr einer hohen Verschuldung ausgesetzt zu sein. Man merkt, dass er seine Arbeit gern macht. "In einem Bereich, der einem wichtig ist, etwas bewirken zu können - das ist Wahnsinn für mich", sagt er, und das wirkt nicht aufgesetzt. Was er seinen Studenten mitgeben wolle? "Sie sollen etwas finden, das sie wirklich begeistert. Eine Idee, die vermeintlich viel Geld verspricht oder gerade hip ist - das hält man in schwachen Phasen nicht durch."

"Er hat uns beigebracht, uns immer wieder selbst zu hinterfragen."

Felix Ballendat ist überzeugt, so eine Idee gefunden zu haben, er ist einer der Gründer des Start-ups "UrmO". Als Teil der Startup-League hat die Firma ihr Büro im ersten Stock. Der Name leitet sich aus dem Begriff "urbane Mobilität" ab. Das gleichnamige Gefährt, das hier entwickelt wird, soll den in der Stadt allgegenwärtigen E-Scootern Konkurrenz machen - zumindest hofft das Ballendat. Optisch erinnert das Fahrzeug an eine kleinere Version des Segways, ist jedoch auch ohne Haltestange fahrbar. Ende des Jahres soll der UrmO zum ersten Mal ausgeliefert werden.

Die Firma wird von Herbert Gillig beraten. "Er hat uns beigebracht, uns immer wieder selbst zu hinterfragen", sagt Ballendat. Am meisten profitiere das Unternehmen jedoch von den Räumlichkeiten. "Wir arbeiten hier, ohne für die Büros bezahlen zu müssen, das rechne ich der Hochschule hoch an." Und auch was das Personal betrifft, nutzt das Start-up die Strukturen: "Wir schauen oft in den Vorlesungen vorbei und machen Werbung, wir sind immer auf der Suche nach guten Leuten", die Firma beschäftigt mittlerweile zwölf Mitarbeiter.

Drei Jahre sind vergangen, seit Ballendat mit einem Studienfreund die Idee für den UrmO kam - vergangenen September gründeten sie dann das Unternehmen. Technikbegeistert war Ballendat, 29, aber schon früher. Die Schule lief "nicht so erfolgreich". Er machte eine Lehre zum Dreher und Fräser und richtete sich in der Garage seiner Eltern eine Werkstatt ein. Dort baute er Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor - Mopeds, Autos - zu Elektrofahrzeugen um. "Ich bin ein Macher", sagt er. Seinen Wagen, einen BMW Z3, habe er schon 2012 - "als auf dem Markt noch nicht so viel los war" - komplett auseinandergebaut und als E-Auto wieder zusammengesetzt. "Damit fahre ich heute noch zur Arbeit", erzählt er stolz.

Über den zweiten Bildungsweg machte er dann das Abitur und studierte Maschinenbau. Einige der Gerätschaften, die er sich damals angeschafft hat, stehen heute bei UrmO in der Werkstatt.

Die Werkstatt liegt einen Stock tiefer. Es riecht nach Öl. Um eine überdimensionierte Bohrmaschine liegen noch Metallspäne. Der UrmO schafft 18 Kilometer pro Stunde und hat eine Reichweite von 20 Kilometern. Mit einem Handgriff lässt er sich auf die Größe einer Aktentasche zusammenklappen. Für die "letzte Meile Mobilität" konzipiert, soll das Elektrofahrzeug beispielsweise für Strecken von der Haustür zur Bahnstation oder von dort zur Arbeit genutzt werden. Etwa 160 000 Euro seien schon durch Vorverkäufe über eine Crowdfunding-Kampagne zusammengekommen. "Die Idee trifft den Markt richtig gut", sagt Ballendat. Er kann es kaum erwarten. "Ich will mein Produkt auf der Straße sehen."

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SZ vom 23.07.2019
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