Süddeutsche Zeitung

Gesundheitspolitik:Wirtschaft wettert gegen Gesundheitsreform

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Die Arbeitgeber befürchten, dass mit der Gesundheitsreform die Lohnnebenkosten auf mehr als 40 Prozent steigen - und werfen der Koalition vor, ein zentrales Versprechen zu brechen.

Guido Bohsem

Die Wirtschaft läuft Sturm gegen die geplante Gesundheitsreform der schwarz-gelben Koalition. Das Vorhaben komme die Unternehmen teuer zu stehen und bürde ihnen ungeheure Bürokratielasten auf, heißt es in einer Stellungnahme des Arbeitgeberverbandes BDA, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

"Mit der geplanten Anhebung des allgemeinen Beitragssatzes bricht die Koalition ihre Zusage, die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern stabil zu halten", heißt es in der Vorlage für eine interne Anhörung des Ministeriums zu den Gesetzesplänen. Dies sei besonders gravierend, weil zu Beginn des kommenden Jahres auch der Beitragssatz für die Arbeitslosenversicherung um 0,2 Prozentpunkte steige. "Damit wächst die Beitragssumme in der Sozialversicherung zum Jahreswechsel äußerst kräftig von 39,6 auf 40,4 Prozent."

Die Koalition hatte stets angekündigt, die Lohnnebenkosten unter 40 Prozent halten zu wollen. Um das erwartete Defizit der Krankenkassen in Höhe von elf Milliarden Euro stopfen zu können, hatten die Koalitionsspitzen vereinbart, den Beitragssatz für die Krankenversicherung von derzeit 14,9 Prozent auf 15,5 Prozent anzuheben. Das kostet die Unternehmen, die Beschäftigten, die 20 Millionen Rentner und die Rentenversicherung insgesamt rund 6,3 Milliarden Euro im Jahr.

Ein Umstand, den die BDA in ihrer Stellungnahme besonders angreift: "Durch den kräftigen Beitragsanstieg wird zudem das Gegenteil dessen erreicht, was die Koalition im Koalitionsvertrag versprochen hatte, nämlich für mehr Netto vom Brutto zu sorgen. Dabei sei es schon jetzt traurige Wahrheit, dass in kaum einem anderen Land Arbeitnehmer so wenig von ihrem erwirtschafteten Einkommen behalten dürften wie in der Bundesrepublik. "Ab dem 1. Januar 2011 wird diese Sonderrolle Deutschlands noch weiter gefestigt", schreiben die Experten des BDA.

Aber auch die vorgesehene Neuregelung der Zusatzbeiträge stößt auf Kritik. Diese müssen die Kassen erheben, wenn sie mit den Mitteln aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen. Sie werden unabhängig vom Einkommen erhoben. Durch die Zusatzbeiträge sollen die künftigen Kostensteigerungen im Gesundheitssystem ausschließlich von den Kassenmitgliedern bezahlt werden. Das beurteilt der BDA positiv. In Frage stellen die Experten die Regelung, weil die Unternehmen für den Sozialausgleich verantwortlich sein sollen. Dieser soll erfolgen, wenn der durchschnittliche Zusatzbeitrag zwei Prozent des Einkommens übersteigt.

Der BDA bezeichnet die Einschätzung des Ministeriums als "schlichtweg unzutreffend", wonach das für die Arbeitgeber leicht handhabbar sein werde. "Es müssten neue Prozesse geschaffen, neue Meldewege und -verfahren eingeführt werden, die Software umgestellt, die Mitarbeiter in der Entgeltabrechnung geschult, die Beschäftigten informiert und die Verdienstbescheinigung erweitert werden", heißt es. Zudem steige das Haftungsrisiko des Arbeitgebers im unübersichtlichen Beitragsrecht und es sei mit zahlreichen zeit- und damit kostenintensiven Rückfragen der Beschäftigten zu rechnen. Dies sei Aufgabe der Krankenkassen.

Falls den Unternehmen diese Aufgabe dennoch übertragen werden solle, müssten sie zumindest eine volle Kostenerstattung für die Übernahme dieser Fremdaufgaben erhalten. Auch dürfe den Arbeitgebern auf keinen Fall die Pflicht aufgebürdet werden, den Sozialausgleich bei Beschäftigten zu regeln, die über mehrere beitragspflichtige Einnahmen verfügten. Das sei alleine Aufgabe der Kassen.

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Quelle:
SZ vom 09.09.2010
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