Süddeutsche Zeitung

Geschichten aus Griechenland:"Ich misstraue allen"

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Spyros Gkelis gibt nicht viel auf das, was die griechischen Medien und Politiker sagen. Deswegen twittert der Biologiedozent in vier Sprachen über die Krise. Als Europäer hat er Angst um die Union ohne Grenzen.

Nakissa Salavati

Die SZ hat mir ihren Lesern über Facebook, Twitter und Google Plus Menschen gesucht, die in Griechenland leben. Wir haben mit ihnen telefoniert, gesprochen, ihnen zugehört. Und alles aufgeschrieben. Jetzt erzählen wir ihre Geschichten.

"Ich bin in einem geeinten Europa aufgewachsen, kenne keine Staatsgrenzen und spreche vier Sprachen. Im Moment habe ich aber Angst um dieses Europa. Vor allem die finanzstarken Länder Frankreich und Deutschland entscheiden über die Zukunft meines Landes. Griechenland kollabiert, das Gesundheitssystem, die Bildung.

Ich verdiene als Universitätsdozent 60 Prozent weniger als früher und arbeite mehr als zwölf Stunden am Tag. Wie soll ich unseren Politikern vertrauen? Seit Jahren ändert sich nichts, es ist genauso chaotisch.

Vielleicht sind wir ja mit François Hollande in Frankreich endlich auf einem richtigen Weg. Sparen ist keine Lösung für die Krise. Nach der Wahl ist in Griechenland vor der Wahl. Meine Studenten sehen täglich: Politik enttäuscht nur. Sie konzentrieren sich auf ihre Ausbildung und gehen ins Ausland.

Auch den griechischen Medien misstraue ich. Ich misstraue allen. Sie verbreiten Fehlinformationen, zeichnen das Bild eines feindlichen Deutschland oder schweigen über Proteste in Griechenland und anderen europäischen Staaten. Das war auch der Anlass für mich, Twitter als Informationskanal zu nutzen: Ich twittere, was wir von den Medien nicht erfahren. Mehr als 3300 Follower verfolgen die Tweets, ich denke, weil sie meine Unabhängigkeit schätzen ( @northaura).

Bei Twitter hat sich über eine Diskussion auch Tutorpool.gr entwickelt. Das ist ein solidarisches Bildungsnetzwerk, in dem Ehrenamtliche aus ganz Europa online Nachhilfestunden geben. Für Kinder, deren Eltern sich nicht mal Bücher leisten können. Wir wollen nicht, dass Bildung in Griechenland nur eine Sache der Reichen wird. Ich will keine unsolidarische Gesellschaft."

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Quelle:
SZ vom 02.06.2012
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