Süddeutsche Zeitung

Gerichtsurteil:Rückschlag für Gazprom

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Der Europäische Gerichtshof entscheidet, dass der russische Konzern eine wichtige Pipeline nicht überwiegend nutzen darf. Die Regierung Polens und der Ukraine feiern die Entscheidung, die auch eine Niederlage für die EU-Kommission ist

Von Florian Hassel, Warschau

In einem Grundsatzurteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) Entscheidungen der Bundesnetzagentur und der EU-Kommission aufgehoben, die dem russischen Gazprom-Konzern erlauben, die in Nähe der deutsch-polnischen Grenze verlaufende Gaspipeline Opal überwiegend zu nutzen. Der EuGH beschränkte Gazprom auf maximal die Hälfte der Pipelinekapazität.

Der EuGH betonte in seinem Urteil zudem die grundsätzliche Bedeutung von Solidarität im Energiebereich in der Europäischen Union. Polen und die Ukraine feierten das Urteil, das Russland faktisch zwingen könnte, Erdgas weiterhin durch Polen und die Ukraine zu transportieren. Das Urteil könnte über den Einzelfall hinaus weitreichende Bedeutung für die Energiepolitik in Europa haben. Gegenstand von Verfahren T-883/16 war der Umgang mit der Opal-Pipeline: Diese übernimmt in Greifswald ebenfalls von Gazprom geliefertes Erdgas aus der Ostseepipeline Nord Stream 1 und transportiert es über 470 Kilometer über Groß-Köris südlich von Berlin bis zur Grenze mit Tschechien. Eigentlich müssen nach EU-Recht Gaspipelines prinzipiell allen Marktteilnehmer offen stehen, für neue Pipelines können indes Ausnahmen gelten.

Dies war bei der im Juli 2011 in Betrieb gegangenen Opal der Fall: Gazprom und seine deutschen Partnerunternehmen BASF und E.ON Ruhrgas durften die Pipeline allein betreiben, sie allerdings nur bis zur Hälfte der Kapazität von 36,5 Milliarden Kubikmeter befüllen. Gazprom hätte die andere Hälfte für den Verkauf von Gas an andere Händler nutzen können - den EU-Vorgaben zufolge allerdings nur zu einem knapp über dem Herstellungskosten liegenden Preis. "Darin hatte Gazprom kein Interesse", sagt ein Brancheninsider. "Die zweite Hälfte haben sie lieber ungenutzt gelassen, als ihr Gas anderen zu verkaufen."

Das Urteil ist auch eine Niederlage für EU-Kommission und Bundesregierung

Gazprom verlangte indes weitere Kapazitäten. Mit Erfolg: Im Mai 2016 informierte die zuständige Bundesnetzagentur die EU-Kommission, sie wolle Gazprom erlauben, auch über die Hälfte hinausgehende Kapazitäten selbst zu nutzen. Ende Oktober 2016 stimmte die EU-Kommission zu, offenbar auch nach Lobbyarbeit der Bundesregierung. Zuletzt nutzte Gazprom nach SZ-Informationen rund 85 Prozent der Gesamtkapazität der Opal-Pipeline. Der Verkauf von Gas durch Gazprom an andere sei bei der Opal-Pipeline "auch heute vernachlässigbar", so ein Insider.

Die polnische Regierung befürchtete, dass Gazprom nach der Stärkung seiner Opal-Kapazität später weniger Gas durch die durch Polen führende Jamal-Pipeline weiter nach Deutschland exportieren würde und Polen so Transitgebühren entgingen. Zweites Bedenken: Polen könne nach Ablauf eines eigenen Gasliefervertrages mit Moskau 2022 weniger oder gar kein Gas mehr bekommen, weil Gazprom es lieber über Nord Stream und Opal direkt nach Deutschland pumpen könnte. Auch die Ukraine war besorgt, die durch die Braterstwo-Pipeline bisher gegen Transitgebühren ebenfalls russisches Erdgas nach Europa transportiert - und deren Vertrag mit Gazprom zum 1. Januar 2020 ausläuft.

Polen verklagte die EU-Kommission Anfang 2017 vor dem EuGH und verlangte, das Gericht solle die Genehmigung für die von der Bundesnetzagentur erlaubten höheren Gazprom-Kapazitäten bei der Opal-Pipeline aufheben. Warschau zufolge habe die Kommission EU-Richtlinien zur Konkurrenz auf dem Energiemarkt ebenso verletzt wie das in Artikel 194 des EU-Vertrages festgelegte Prinzip der Solidarität im Energiebereich. Das Verfahren bekam weitere Bedeutung, da sich die Bundesrepublik auf Seiten der Kommission anschloss.

Die Richter betonen die Solidarität in Europa

Am Dienstag hoben die fünf EuGH-Richter die Genehmigung der Kommission für einen höheren Gazprom-Anteil an der Opal-Kapazität mit sofortiger Wirkung auf. Wichtig ist die Begründung: Das Gericht stellte fest, dass entgegen von Behauptungen der Kommission Beistandsverpflichtungen im Energiebereich "nicht auf Ausnahmesituationen" wie Gasmangel durch Naturkatastrophen oder Terroranschläge beschränkt seien. "Im Gegenteil begründet das Prinzip der Solidarität eine generelle Verpflichtung auf Seiten der EU und der Mitgliedsstaaten ... das Interesse anderer Akteure zu berücksichtigen." Sowohl die Europäische Union wie Mitgliedsstaaten müssten Entscheidungen vermeiden, die "die Versorgungssicherheit oder wirtschaftliche oder politische Lebensfähigkeit" anderer EU-Mitgliedsstaaten beeinträchtigten. Zwar seien negative Auswirkungen auf ein Land im Einzelfall nicht zu vermeiden. Doch die Brüsseler Kommission habe bei ihrer Opal-Genehmigung 2016 weder den Grundsatz der Energiesolidarität geprüft noch die Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit Polens. Ebenso wenig habe die Kommission untersucht, welche Folgen weniger Gas in den Pipelines Jamal in Polen und Braterstwo in der Ukraine für die Energiepolitik Polens haben könnte.

Die Bundesnetzagentur forderte Gazprom und seine Partner formell auf, das Urteil umzusetzen und die Gazprom-Quoten entsprechend zu reduzieren. Gazprom erklärte: "Wir untersuchen die juristischen und wirtschaftlichen Folgen dieser Entscheidung." Das polnische Außenministerium erklärte das Urteil zum "großen Erfolg Polens". Energieminister Krzysztof Tchórzewski erklärte, Gazprom könne nun im kommenden Winter kaum den Gastransport durch die Ukraine einstellen. Jurij Witrenko von der ukrainischen Gasgesellschaft Naftogas feierte das EuGH-Urteil als "angenehme Überraschung". Er hoffe, es sei "ein Zeichen allmählichen Wandels in Europas Einstellung gegenüber Gazprom und Russlands Gebrauch von Gas als Instrument politischen Einflusses". Naftogas verhandelt mit Gazprom am 19. September in Brüssel unter Beteiligung der EU-Kommission über einen neuen Gas-Vertrag ab 2020. Bereits am 1. September unterschrieb die Ukraine einen Vertrag über die Lieferung von US-amerikanischem Gas, das über Polen in die Ukraine gepumpt werden soll.

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SZ vom 12.09.2019
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