Süddeutsche Zeitung

Gerhard Schick:Außerparlamentarische Opposition

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Er war der "Grünen-Finanzexperte" und ein respektierter Kritiker der Finanzbranche. Nun verlässt Gerhard Schick das Parlament - um in einer Bürgerbewegung weiterzumachen.

Von Harald Freiberger, München

Es kommt nicht oft vor, dass bei einem Menschen die Berufsbezeichnung zum festen Bestandteil des Namens wird. Der langjährige "Bahn-Chef Hartmut Mehdorn" war ein solcher Fall, "Bundestrainer Jogi Löw" ist mit zunehmender Dauer seiner Amtszeit auf dem besten Weg dazu. Auch "der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick", der seit 2005 im Bundestag sitzt, ist zu einer solchen Marke geworden. Bald aber ist es damit vorbei: Zum Ende des Jahres scheidet Schick aus dem deutschen Parlament aus.

Der 46-Jährige wird Vorstand bei der "Bürgerbewegung Finanzwende", einer relativ neuen Nichtregierungsorganisation (NGO). Gewissermaßen wechselt er damit von der parlamentarischen in die außerparlamentarische Opposition. Seine Bürgerbewegung will dazu beitragen, das Finanzsystem stabiler und weniger schädlich für die Menschen zu machen. "Zehn Jahre nach der Pleite von Lehman Brothers ist es immer noch nicht gelungen, den Finanzmarkt zu beruhigen, er bleibt wacklig, intransparent und zu komplex", sagt Schick. Es gebe eine riesige Lücke in der öffentlichen Wahrnehmung. Jedes Jahr würden Zehntausende Menschen Opfer von Finanzbetrug, in der Beratung laufe vieles falsch, Banken wie die HSH Nordbank hätten zweistellige Milliardensummen an Steuergeld verschlungen. "Es gibt keinen Bereich, in dem so viel Geld verschwendet und so wenig darüber diskutiert wird", sagt Schick. Mit seiner Bewegung will er dazu beitragen, dass die Debatte über solch skandalöse Vorgänge nicht nur Experten vorbehalten bleibt.

Es ist der größte berufliche Einschnitt für den studierten Volkswirt aus dem Wahlkreis Mannheim. Als er 2005 in den Bundestag kam, arbeitete er sich schnell in Finanzthemen ein. Sein Spezialwissen war gefragt, als drei Jahre später die weltweite Finanzkrise ausbrach. Mit seinen kenntnisreichen und pointierten Äußerungen wurde er im Lauf der Jahre zu einer der wichtigsten kritischen Stimmen gegen die Finanzbranche. Eine Stimme, die selbst im Regierungslager Anerkennung fand: Beim Abschied in der Grünen-Bundestagsfraktion äußerte sich CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus lobend über Schick. Sein größter Erfolg im Bundestag war der Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Skandal. Dabei haben Banken den Staat mit der mehrmaligen Erstattung von Kapitalertragsteuer um Milliarden Euro geprellt. Mit unzähligen kleinen und großen Anfragen, Anträgen und Äußerungen wurde Schick zum "Grünen-Finanzexperten".

Warum also hat er sich entschlossen, den Bundestag zu verlassen? "Unsere Bewegung ist parteiübergreifend, deshalb kann ich nicht in einer Fraktion bleiben", sagt er. Und was die Wirkung betrifft: "Ich glaube, dass wir gemeinsam mehr bewegen können als jeder Einzelne in seiner bisherigen Tätigkeit." In der Bürgerbewegung, die sich über Spenden und Beiträge finanziert, macht ein Querschnitt der Bevölkerung mit: Unternehmer, Gewerkschafter, Anwälte, Leute aus dem Sozial- und Umweltbereich, auch ehemalige Banker. Von 53 Leuten, die Schick anschrieb, bekam er 50 Zusagen. Auch der ehemalige Arbeits- und Sozialminister Norbert Blüm (CDU) ist darunter.

"NGOs im Finanzbereich sind nicht mit solchen für Nahrungsmittel wie etwa Foodwatch vergleichbar", sagt Schick. Essen tue man dreimal am Tag, Finanzthemen seien viel abstrakter. Trotzdem beträfen die Themen die Menschen massiv. "Es geht um Schicksale, um Not und Enttäuschungen, zum Beispiel wenn Tausende Anleger ihr Erspartes für das Alter verlieren wie bei der Betrugsfirma P&R."

Um zur Finanzwende beizutragen, will Schick mit seiner Bewegung auf verschiedene Instrumente setzen. Das können etwa Unterschriftenlisten sein, das Erstellen von Rankings oder ein öffentlicher Brief an Felix Hufeld, den Chef der Finanzaufsicht Bafin, sich mehr für die Belange der Verbraucher einzusetzen. Schick hält nichts davon, stets alles zu skandalisieren, das nutze sich schnell ab. "Mit präzisen Fragen kann man mehr erreichen als mit Verbalradikalismus", war schon sein Motto als "Grünen-Finanzexperte". Das soll auch weiter gelten.

Hinweis der Redaktion: In der vorherigen Fassung des Artikels hieß es, dass Schick auch die Partei der Grünen verlasse, doch das ist nicht der Fall.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2018
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