Süddeutsche Zeitung

Corona-Krise:Gemeinsam, pragmatisch und nicht-ideologisch

Lesezeit: 3 min

Die europäische Zusammenarbeit ist viel besser als oft behauptet. Das zeigen die Erfahrungen im Bereich der Finanzstabilität.

Gastbeitrag von Claudia Buch, Sylvie Goulard und Luigi Federico Signorini

Die Corona-Krise führt uns nachdrücklich vor Augen, wie verletzlich unsere Gesellschaften und Volkswirtschaften sind. Von der Politik sind umfangreiche Hilfsmaßnahmen beschlossen worden, die Unternehmen und Haushalte schützen sollen. Europaweit abgestimmte Maßnahmen sind dabei ebenso erforderlich wie möglich. Wir müssen bei dieser Zusammenarbeit die positiven Kräfte nutzen, die uns in Europa stärken und die uns erlauben, sinnvolle und pragmatische Lösungen zu finden. Die europäische Kooperation ist viel besser als oftmals behauptet. Hierfür gibt es einige Beispiele, nicht zuletzt im Bereich der Finanzstabilität. Seit der globalen Finanzkrise wurde gerade hier Vieles erreicht. Aus diesen guten Erfahrungen können wir auch für andere Politikbereiche lernen.

Es wird häufig hinterfragt, was die EU zur Krisenbewältigung unternimmt. In unserem Bereich, der Finanzstabilität, passiert sehr viel. Ein gut funktionierendes Finanzsystem in Europa ist dabei kein Selbstzweck. Es ermöglicht reibungslose Abläufe in der Realwirtschaft, fördert die Ersparnisbildung und Investitionen, und es bildet die Grundlage für ein zuverlässiges sowie effizientes Zahlungssystem.

Dank der Reformen des vergangenen Jahrzehnts war die Widerstandskraft des Finanzsektors vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie deutlich gestärkt. Europäische und nationale Aufseher konnten daher Kapital- und Liquiditätspuffer freigeben, um den Banken zusätzliche Kreditvergaben zu erleichtern. Die Aufsichtsbehörden haben den Instituten zudem empfohlen, keine Dividenden- und Bonuszahlungen vorzunehmen, um die vorhandene Widerstandskraft zu erhalten. Erreicht wurde dies nicht durch eine Rücknahme von Regulierung, sondern über die flexible Anwendung bestehender Regeln. Die verbesserte Regulierung stellt ihren Nutzen gerade jetzt unter Beweis, da sie die Banken vor der Krise gestärkt hat.

Gemäß ihrer Verantwortung und ihrem Mandat haben die EZB und nationale Notenbanken schnell und entschlossen gehandelt, um die Bereitstellung von Liquidität zu sichern, die Funktionsweise der Märkte aufrechtzuerhalten und einer möglichen negativen Abwärtsspirale bei den Preiserwartungen wirksam zu begegnen.

Sollte die Krise vorübergehender Natur sein, dann sollten Maßnahmen ausreichen, die die Liquidität der Haushalte und Unternehmen sichern. Sollte es aber länger dauern, bis die Wirtschaft in einen Normalzustand zurückkehrt, besteht die Gefahr einer Überschuldung von Unternehmen. Maßnahmen, die nur auf den Erhalt der Liquidität zielen, sind dann nicht ausreichend.

Letztlich sind neben den gesundheitspolitischen Maßnahmen gezielte fiskalische Maßnahmen nötig, um die Ursachen der Krise zu bekämpfen. Viele Politikbereiche tragen hierzu bei. Die Mitgliedstaaten der EU haben Unternehmen und Haushalten umfangreiche Hilfen zur Verfügung gestellt. Die EU-Kommission hat im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten temporär Beihilferegeln gelockert und den Stabilitäts- und Wachstumspakt außer Kraft gesetzt. Sie hat entschieden, vom "Green New Deal" nicht abzurücken und sie arbeitet an Plänen für eine koordinierte Stützung der Volkswirtschaften. Unbestritten ist bei alledem die Notwendigkeit, langfristig nachhaltige Staatsfinanzen beizubehalten.

Es ist nachvollziehbar, dass die Menschen in Europa in einer solchen Krise zunächst Antworten von den Regierungen in ihrem Land und vor Ort in den Regionen erwarten. Gleichzeitig wächst aber die Überzeugung, dass ein unkoordiniertes Vorgehen der einzelnen Länder zur Bekämpfung der Krise nicht nur in gesundheitspolitischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht hochgradig ineffizient wäre. Deshalb bedarf es gemeinsamer europäischer Antworten: in der Gesundheitspolitik, der Wirtschaftspolitik und bei der Sicherung der Finanzstabilität.

Die Ausgestaltung der erforderlichen Finanzierungsmechanismen in Europa ist derzeit Gegenstand lebhafter Diskussionen. Über einige Eckpunkte wurde bereits eine Entscheidung auf politischer Ebene erzielt. Die Wahl geeigneter Instrumente ist Sache der Politik, nicht der Notenbanken. Aus Sicht der Finanzstabilität ist dabei ein gemeinsames, pragmatisches und nicht-ideologisches Vorgehen wichtig.

Wir haben eine gemeinsame Währung. Unser gemeinsamer Wohlstand basiert auf dem Binnenmarkt und der Mobilität von Gütern und Dienstleistungen, von Menschen und Kapital. Niemand gewinnt, wenn der Binnenmarkt gestört ist.

Entscheidungen und Entwicklungen im Inland wirken über Grenzen hinweg. Der überwiegende Teil unseres Außenhandels fließt in andere europäische Länder. Störungen der realwirtschaftlichen Vernetzung und der weit verzweigten Lieferketten unterbrechen die Produktion und erhöhen die Arbeitslosigkeit. Einkommensverluste senken nicht nur die Nachfrage im Inland, sondern auch in anderen Ländern. Die Exporte sinken. Beschränkungen der Reisefreiheit innerhalb Europas treffen gerade diejenigen Sektoren, die von Arbeitskräften aus dem Ausland abhängen - den Gesundheitsbereich, den Tourismus, die Landwirtschaft.

Daher müssen wir daran arbeiten, die europäische Kooperation zu stärken und auszubauen. Koordination und abgestimmte Lösungen sind das Gebot der Stunde.

Jede Krise bietet auch Chancen. Ganz sicher wird es eine Diskussion darüber geben, was wir aus der Krise lernen können. Auch hier können Erfahrungen im Bereich der Finanzmärkte hilfreich für andere Politikbereiche sein. Das Eurosystem hat seine Handlungsfähigkeit als föderale Institution gezeigt. Nach der globalen Finanzkrise wurden neue Institutionen geschaffen, die für die Aufsicht über Finanzinstitute und die Aufrechterhaltung der Finanzstabilität verantwortlich sind - in enger Kooperation mit den zuständigen nationalen Behörden.

Bei der Diskussion um geeignete Konzepte für ein Ende der Krisenmaßnahmen dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, was uns gemeinsam stark macht: Wir teilen in Europa gemeinsame Werte. Dies ist die Grundlage, um den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen, einschließlich des Klimawandels. Wir besitzen eine gut ausgebaute Infrastruktur im Bereich der Gesundheit und der sozialen Sicherungssysteme. Die europäische Geldpolitik und die für Finanzstabilität zuständigen Institutionen wirken stabilisierend. Dieses Miteinander in Europa hilft uns, und es ist das, was wir brauchen.

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Quelle:
SZ vom 05.05.2020
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