Süddeutsche Zeitung

Gas-Streit:Europa geht das Gas aus

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Deutsche Versorger beklagen einen massiven Rückgang der Lieferungen aus Russland. In der Slowakei und Bulgarien herrscht Notstand.

M. Bauchmüller, T. Urban und M. Winter

Der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine führt in West- und Osteuropa zu Engpässen. Am Dienstag fielen fast alle russischen Gaslieferungen nach Österreich aus. Auch Deutschlands größter Gasimporteur, Eon Ruhrgas, sprach von "massiven Einschnitten". Die EU-Kommission drängte die Regierungen in Moskau und Kiew, ihren Streit beizulegen.

Die Gasimporte, die über die Ukraine nach Deutschland kommen, könnten komplett ausfallen, warnte Eon Ruhrgas. Auch der Kasseler Importeur Wingas berichtete von Schwankungen. Es bestehe aber in Deutschland trotz der teifen Temperaturen zunächst kein Grund zur Besorgnis, teilten die Unternehmen mit. Die Erdgasspeicher seien gut gefüllt. "Trotz erster Lieferausfälle können sich die Verbraucher auf eine sichere Versorgung verlassen", sagte Martin Weyand, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. Russland liefert 37 Prozent des deutschen Erdgases. Der größte Teil davon fließt in Pipelines durch die Ukraine.

Deutlich schwieriger ist die Situation bereits in vielen europäischen Ländern. Die Türkei, Rumänien, Griechenland und einige Balkanstaaten meldeten einen Lieferstopp. In Polen kamen nur 15 Prozent der vereinbarten Liefermengen an. In Bulgarien sind nach Behördenangaben zwei Städte ohne Gasversorgung - bei großer Kälte. Die Regierung erwägt, ein stillgelegtes Atomkraftwerk wieder in Betrieb zu nehmen. Kroatien kündigte an, es werde die Lieferungen an Industriebetriebe einschränken, um den Verbrauch zu senken. Die Slowakei hat den Gas-Notstand ausgerufen.

Russland hatte im Streit um Gaszahlungen schon an Neujahr die Lieferungen an die Ukraine eingestellt. Nach Auffassung Moskaus hatte Kiew in der Folge aber dennoch Gas für sich abgezweigt. Der stellvertretende Chef des russischen Gaskonzerns Gazprom, Alexander Medwedjew, sprach von "unverhohlenem Diebstahl". Medwedjew traf am Dienstag in Berlin Bundeswirtschaftsminister Michael Glos in Berlin. Dort sagte Medwedjew, die Ukraine habe am Dienstmorgen um 2.30 Uhr "einseitig drei Haupt-Gasexportleitungen nach Westeuropa gesperrt". Dies sei "beispiellos in der Geschichte des Weltgasmarktes". Eine internationale Vermittlung lehnte er ab. "Wir fühlen uns genug als Profis." Glos forderte beide Seiten auf, rasch an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Die Ukraine weist die Vorwürfe zurück. Das Land decke seinen Bedarf "aus eigenen Vorkommen und den Speichern, die bezahltes Gas enthalten", schrieb Staatspräsident Viktor Juschtschenko an alle europäischen Regierungen. Vielmehr habe Gazprom "massiv die Gaszufuhr in die Transitleitungen für die europäischen Verbraucher eingeschränkt", so Juschtschenko. Der Chef des ukrainischen Gasversorgers Naftogaz, Oleg Dubina, will am Donnerstag nach Moskau reisen. Die Entscheidung sei nach einem Telefonat mit Gazprom-Chef Alexej Miller gefallen, sagte Dubina in Kiew.

Die EU teilte mit, die Lage habe sich "über Nacht dramatisch verändert". Die Einstellung von Lieferungen widerspreche den "Versicherungen", die beide Seiten abgegeben hätten. Dies sei "vollkommen unannehmbar". Die EU-Kommission hütet sich dabei, die Schuld allein Russland zuzuschieben. Auch die Ukraine riskiere, ihr "Ansehen zu beschädigen", sagte ein Sprecher der Kommission. Am Freitag soll die "Gas-Koordinierungsgruppe" der EU zusammentreten. Dort wird beraten, welchen Mitgliedsländern geholfen werden muss und wie das geschehen kann.

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SZ vom 07.01.2009
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