Frauenrollen in Computerspielen:Sexspielzeug
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Zu rettendes Opfer, sexy Begleiterin oder kämpfendes Sexspielzeug - für Frauen sind die Rollen in Games sehr begrenzt. Doch damit fängt der Sexismus in der Computerspielebranche erst an.
Ein Gastbeitrag aus dem Games-Magazin WASD von Helga Hansen
Neulich sollte ich für eine Zeitschrift meinen bewegendsten Computerspielmoment beschreiben. Ein Ereignis, das mir Gedächtnis geblieben war und möglichst einzigartig. Ich überlegte hin und her. Wie ich meiner Schwester die Diablo II-Battle Chest zu Weihnachten schenkte, obwohl die erst ab 16 freigegeben war? Lustige Ereignisse bei LAN-Partys, mit virtuellen Laufwerken, Hubs oder BNC-Kabeln? Schließlich besann ich mich eines wirklich einzigartigen Erlebnisses: No one lives forever und Cate Archer. Endlich eine Heldin in einem Computerspiel und dann noch fast komplett bekleidet! Ja, 2000 war eine Protagonistin in einem Computerspiel herausragend - mein bewegendster Computerspielmoment.
Auch 2012 sind die Stars der meisten Spiele immer noch weiß, heterosexuell und männlich. Genau so, wie sich die meisten Spielehersteller bis heute ihre Käufer vorstellen. Dass schon immer auch Frauen zu Controller und Maus griffen - geschenkt. Dass der Anteil der Gamerinnen seit Jahren steigt, scheint sich ebenfalls noch nicht in den Chefetagen rumgesprochen zu haben. Die einzige Rolle für Frauen scheint weiterhin das Booth Babe zu sein. Hübsch, schlank und scheinbar "stets zu haben".
Shitstorm und Hasskommentare
Das alleine wäre schon Grund zur Trauer, aber 2012 kam es noch härter: Wer es wagt, diesen Zustand anzuprangern oder überhaupt nur einmal untersuchen zu wollen, wird angefeindet. Letzteres war das Ziel von Anita Sarkeesian. Bekannt geworden ist sie mit ihrem Videopodcast Feminist Frequency, in dem sie Werbung, TV-Serien und Kinofilmen feministisch analysiert. Um eine aufwendigere Recherche zu Frauenbildern in Computerspielen finanzieren zu können, startete sie ein Kickstarter-Projekt. 6000 Dollar wollte Sarkeesian sammeln, um fünf Videos zu Stereotypen produzieren zu können, und erreichte das Ziel tatsächlich innerhalb von 24 Stunden. Auch die neun schnell hinzugefügten Bonusziele konnte sie kurz darauf abhaken .
Damit aber begann ein wahrer Shitstorm. In diversen Foren organisierte sich Widerstand. Dass sich eine Frau erdreistete, die langweilige, eindimensionale und klischeebehaftete Darstellung von Frauen in Computerspielen analysieren wollte, war zu viel. Die YouTube-Kommentare, über die Sarkeesian sich auf Twitter schon lange auslässt, wurden noch einmal richtig mit Hasskommentaren überschwemmt, ihr YouTube-Kanal als "Terrorismus" gemeldet.
Außerdem wurde ihre Wikipedia-Seite verunstaltet, damit die Google-Suchergebnisse eklig, und die Ergebnisse von beidem wurden als "Trophäen" zurück durch die Foren gereicht. Der letzte widerliche Höhepunkt war ein Online-Spiel, das dazu aufrief, sie zu verprügeln. In seinen Tweets erklärte der Programmierer, durch die Aufforderung zu psychischer Gewalt hätte er ihre Aufmerksamkeit bekommen und "einen Dialog beginnen" wollen.
Die gute Nachricht: Trotz und teilweise gerade erst durch den Widerstand wurde Sarkeesian noch einmal deutlich mehr Geld gespendet. Nach einem Monat waren fast 160.000 Dollar von rund 7000 Unterstützer_innen zusammen gekommen. Auch das Medieninteresse war überwältigend. Feministische und Spiele-Blogs berichteten, außerdem der englische Guardian, die New York Times und Wired. Selbst in die deutsche FAZ schaffte es ihre Geschichte - allerdings mit dem erstaunten Hinweis, Sarkeesian sei gar keine bittere Radikalfeministin. Dort scheint es vielleicht ein Memo zu geben, dass es okay ist, bittere Radikalfeministinnen zu bedrohen.
Neu sind die Ideen von Sarkeesian dabei gar nicht. 2009 schaute die GameStar in eine Gamesdatenbank und stellte fest: Von 48.000 Einträgen waren nur 704 in der Kategorie "Weibliche Hauptfigur". Und diese würden deutlich häufiger aus der Verfolgerperspektive gezeigt statt in der Ego-Ansicht. Ansonsten gäbe es nur Begleiterinnen, Opfer in der Not, ab und an aufreizende Gegenspielerinnen und Accessoires. Zahlen der Spielemacher_innen von 2005 hatte das Blog Racialicious recherchiert. Zu 83 Prozent waren sie weiß und zu 89 Prozent männlich und alles, was von ihrem Bild abweicht, nur selten in Games zu sehen.
Seit diesem Jahr nun ist die Debatte um strukturellen Sexismus und Rassismus so richtig entbrannt. Einige fragwürdige Verlautbarungen von den Gamesherstellern tun dazu ihr Übriges. Im Reboot von Tomb Raider muss Lara Croft eine versuchte Massenvergewaltigung abwehren - laut Produzent Ron Rosenberg eine Maßnahme zur Charakterbildung. Der Tomb Raider-Trailer folgt hier einem beliebten Muster, wie man es etwa aus TV-Serien kennt: Die Frau wird fast vergewaltigt, was sie aber erst recht stark werden lässt. In der Realität sind derartige gewaltvolle Einschnitte aber alles andere als ein magischer Wendepunkt eines Lebens.
2011 hatte der Art Director von Deus ex: Human Revolution, Jonathan Jacques-Bellêtete, bereits ehrlicherweise angemerkt, dass er "immer versuche, sehr hübsche weibliche Charaktere zu haben". Genauer gesagt, Charaktere, mit denen er schlafen wollen würde. Überzeugende weibliche Charaktere zu programmieren sei viel zu aufwendig, redete sich Gordon Van Dyke von der Firma Dice heraus, als Battlefield: Bad Company 2 völlig frauenlos erschien. Die gleiche Firma, die zuvor in Mirrors's Edge mit Faith eine immer noch hübsche, aber nicht stereotyp überzeichnete weibliche Hauptfigur ins Rennen geschickt hatte und damit schon einmal eine Debatte losgetreten hatte.
Doch wollen am Ende alle nur laufende Sexpielzeuge spielen? Nein, meint die Spieledesignerin Shaylyn Hamm. In ihrer Masterarbeit entwarf sie realistische weibliche Modelle, angelehnt an Figuren aus Team Fortress 2, die im Spiel getestet werden konnten. In einer Internet-Umfrage fand die Mehrheit der Teilnehmenden die Charaktere passend und gab an, gerne häufiger realistischere Frauenfiguren spielen zu wollen.
Nischen, die weniger wert sind
Viel zu tun bleibt auch im Meatspace. Die Autorin Katie Williams vom Spiele-Blog Kotaku berichtete von unangenehmen Vorfällen auf der Spielemesse E3. Wieder und wieder wurde ihr dort angeboten, ihr Spiele vorzuspielen, statt sie selbst an die Demos zu lassen. Oder sie wurde einfach gleich an die Facebook-Casual-Games verwiesen, die vor allem von Frauen über 40 gespielt werden und auf die die "echten Gamer" herabschauen. Was Frauen auch machen, die Nischen, die sie sich erobern, sind einfach weniger wert - alte, sexistische Bewertungsmuster wiederholen sich also auch in Spielen.
Doch ab und an gibt es auch bessere Nachrichten. Das Gamer-Blog Destructoid feuerte im Sommer einen Schreiber, nachdem er Felicia Day als "verklärtes, unnützes Booth Babe" beschimpft hatte. Wer Day noch nicht kennen sollte: Mit "The Guild" hat sie eine der erfolgreichsten Web-TV-Serien geschaffen. Die Serie verfolgt das Leben und Leiden einer Gilde in einem unbenannten MMORPG und ist inzwischen mehrfach ausgezeichnet. Passenderweise erfand Day "The Guild" auch, um dem Bild des stereotypen Gamers im Keller seiner Eltern etwas entgegenzusetzen. So gehören auch eine Modestudentin und eine verheiratete Mutter dreier Kinder zu den Gildenmitgliedern.
Immerhin wirft der Vorfall auch ein Schlaglicht auf die Verachtung, die Booth Babes immer noch entgegengebracht wird. Eingestellt, um die vermeintlich untervögelten Nerds anzulocken, wird ihre Jobbezeichnung wiederum zum Schimpfwort. Zur Gamescom gab die Firma Reality Twist eine Pressemitteilung heraus und sagte ihre Beteiligung ab, da man den Booth Babes kritisch gegenüberstünde. War aber alles nur ein Spaß, ein echter Schenkelklopfer.
Spielerinnen bringt dies in eine schwierige Lage. Um ernst genommen zu werden, müssen sie sich gegenüber den Frauen abgrenzen, die ein vermeintlich schlechtes Licht auf sie werfen - wie z.B. Booth Babes oder "unernste" oder "unechte" Spielerinnen. Doch sich an diese Maßstäbe zu halten, ist wie der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln: unmöglich. Im Zweifelsfall wird der Rahmen so verschoben, dass einfach keine Frau hineinpasst. Ein Mechanismus, der schließlich andere Frauen davon abhält, selbst einmal zum Controller zu greifen oder sich gar als Computerspielerin zu outen. Und auch wenn es nicht jede Frau abschreckt, sind weibliche Identifikationsfiguren selten und viele der Charaktere so stereotyp und sexy gehalten, dass frau sich nicht mit ihnen identifizieren möchte.
Statt beim Daddeln abschalten zu können, muss frau in diesem Hobby ständig ihre Identität verhandeln - dabei würden gerade Computerspiele hier unendliche Möglichkeiten bieten, neue Identitäten auszuprobieren, Körper über 08/15-Vorstellungen hinweg auszutesten und neue Geschichten zu erzählen. Hoffen wir, dass die Debatten Früchte tragen und 2013 besser wird.