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Forum:Information, Werbung?

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Im Netz gibt es Tausende Gesundheitstipps, die die Verbraucher verwirren. Der Staat sollte hier Orientierung geben.

Von Gerd Gigerenzer und Gert G. Wagner

Die Begriffe eHealth und mHealth stehen für die Verheißung, dass digitale Technologien uns gesünder machen werden. Mit eHealth (elektronische Gesundheit) werden Technologien bezeichnet, die uns beispielsweise Informationen über Vorsorge, Früherkennung und Behandlungen bereitstellen. Die mobile Version heißt mHealth und liefert uns Informationen durch Smartphone-Apps oder sammelt direkt Daten durch "Wearables" (tragbare Mini-Computer) wie Armbänder, die unsere Schritte zählen und unsere körperliche Fitness messen.

Der nächste Schritt sind Sensoren, die in Kontaktlinsen stecken, auf unserer Haut haften und drahtlos Blutdruck, Körpertemperatur und Atemfrequenz messen und diese Information versenden. Sensoren, die man unter der Haut einsetzt, können heute schon kontinuierlich den Blutzuckerspiegel messen. Schließlich wird über ein digitales Netzwerk innerhalb unseres Körpers ("in-body internet") spekuliert, das unsere Organe nicht nur überwacht, sondern sogar koordiniert: Unsere Körperdaten sollen an einen Algorithmus übermittelt werden, der uns dann per SMS Anweisungen sendet, was wir essen, welche Medikamente wir nehmen und was wir sonst für unsere Gesundheit tun sollten.

Ob wir wollen oder nicht, wir müssen uns entscheiden, welche von den vielen Möglichkeiten wir annehmen oder lieber nicht annehmen wollen. Eine solche Entscheidung verlangt kritische und gut informierte Verbraucher, gerade im Gesundheitsbereich, wo es schwer geworden ist, zuverlässige Information von kommerzieller Irreführung zu unterscheiden. Zwei Beispiele:

Unsere Lebenserwartung steigt - und damit auch die Zahl derer, die sich Sorgen über einen altersbedingten Abbau ihrer Gedächtnis- und Denkleistungen machen. Kommerzielle Internet-Anbieter behaupten, dass Online-Gehirntraining den Abbau verlangsamen und verhindern kann. Aber unabhängige Wissenschaftler haben auf Initiative des Stanford Center on Longevity und des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin festgestellt, dass die Versprechen haltlos sind. Daraufhin verbot die amerikanische Federal Trade Commission (FTC) dem Anbieter "Lumosity" damit zu werben, dass ihr Gehirntraining altersbedingten geistigen Abbau aufhalte und Menschen helfe, in der Schule oder im Beruf besser zurechtzukommen. Das zeigt: Der Staat kann eingreifen und Verbraucher vor Irreführung schützen.

Mit der steigenden Lebenserwartung steigt auch die Gefahr, an Krebs zu erkranken. Wenn nun eine Frau wissen möchte, ob Früherkennung von Eierstockkrebs durch Ultraschall mehr Nutzen als Schaden bringt, dann erhält sie auf eine einfache Internetsuche hin 39 000 Treffer in deutscher Sprache - und schon auf der ersten Seite widersprüchliche Angaben; die einen raten ab, die anderen raten zu. Wonach soll sie sich richten?

Die Regierung könnte Apps bewerten. Und für mehr digitale Aufklärung sorgen

Wir brauchen ein Institut, das den Menschen hilft, verlässliche Quellen für Gesundheitsinformationen zu finden: Es gibt im Netz durchaus verlässliche Gesundheitsinformationen, aber nur wenige Verbraucher wissen, wo man sie findet. Der Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung ist beispielsweise eine sogenannte Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL), die zu Recht von den gesetzlichen Krankenkassen nicht bezahlt wird. Sie hat keinen nachgewiesenen Nutzen, aber nachgewiesenen Schaden: Viele gesunde Frauen erhalten falsche "auffällige" Befunde - und dann wird zur sicheren Abklärung dieser Befunde der verdächtige Eierstock entfernt. Dies kann jede Frau unter igel-monitor.de erfahren - aber die meisten wissen das nicht.

Der Gesetzgeber hat dafür gesorgt, dass ein unabhängiges Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) eingerichtet wurde, das auf gesundheitsinformation.de verlässliche Information in verständlicher Weise zur Verfügung stellt. All diese Aufklärung hilft jedoch nur begrenzt, weil die meisten Deutschen gar nicht wissen, wo sie ehrlich über Gesundheit informiert werden. Studien zeigen, dass die Mehrzahl der Verbraucher auf kommerziellen Webseiten landen. Im Jahr 2014 hatten etwa die Gesundheitswebseiten der Privatwirtschaft monatlich im Mittel 95 000 Besucher, wohingegen die Webseiten von Kliniken, Apotheken, Krankenkassen und dem restlichen Gesundheitssystem auf jeweils nur etwa 12 000 Besucher kamen. Wie kann man dieses Informationsproblem lösen?

Als Vertreter des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen empfehlen wir der Bundesregierung, ein kleines Institut einzurichten, das Wege findet, mit Hilfe digitaler Technologien - wie sozialer Netzwerke - verlässliche Quellen für Gesundheitsinformation der Bevölkerung bekannt zu machen. Dies könnte in drei bis fünf Jahren geleistet werden und durch "Faktenboxen" unterstützt werden, wie sie im Patient Protection and Affordable Care Act (2010), dem sogenannten Obamacare vorgesehen und in Deutschland auf aok.de/faktenboxen gezeigt werden. Diese Information sollte durch ein Qualitätssiegel, zum Beispiel durch das IQWIG, gekennzeichnet werden. Qualitätssiegel können helfen, weniger Zeit im Netz zu verschwenden.

Es gilt, die digitale Kompetenz zu stärken: Gerade im Gesundheitsbereich, in dem viel Geld fließt und der gegen das Wohl der Patienten zu stark ökonomisch agiert, benötigen Verbraucher Unterstützung, um die Unabhängigkeit und Qualität von Portalen, Suchmaschinen und Labels einzuschätzen und zwischen Information und Werbung zu unterscheiden. Auch Gesundheits-Apps, von denen inzwischen mehr als 200 000 angeboten werden, müssen vom Verbraucher hinsichtlich potenzieller Nutzen und Schäden eingeschätzt werden können. Das vorgeschlagene Institut wäre ein Meilenstein in diese Richtung - aber kein Allheilmittel.

Um die Risiken der digitalen Revolution zu beherrschen und ihre Chancen zu nutzen, müssen wir die gesamte Bildungskette revolutionieren, vom Kindergarten über die Schule und Ausbildung bis hin zur Weiter- und Erwachsenenbildung. Zu dieser gezielten Bildungsoffensive gehört auch die Vermittlung von Kompetenz im Hinblick auf die Interpretation statistischer Ergebnisse (siehe etwa die monatliche unstatistik.de). Denn statistische Grundkenntnisse helfen bei der Abschätzung von möglichem Nutzen und von Risiken. Verbraucherbildung ist der nachhaltigste Verbraucherschutz, und das bedeutet heutzutage die Fähigkeit, digitale Technologien zu beherrschen statt sich von ihnen beherrschen zu lassen. Nur dann können eHealth und mHealth uns gesünder machen.

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Quelle:
SZ vom 18.04.2016
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