Süddeutsche Zeitung

Folge 2: Renaissance:Meine Münze, mein Palast, meine Kunst

Lesezeit: 6 min

In der frühen Neuzeit blüht das Kreditwesen, Bankiers gewinnen gesellschaftlichen Einfluss. Das hat Folgen für die Kunst.

Von Kia Vahland

Sympathisch sind sie nicht, die beiden Geldsammler. Der eine, mit rotem Kopfschmuck und modischer Brille, notiert beflissen bis verbiestert die Einnahmen in ein ledergebundenes Buch. Viele Seiten hat er schon gefüllt, und kann sich trotzdem an den Gewinnen nicht erfreuen. Der andere schaut verschlagen, während er sich auf die Schulter seines Kumpanen stützt und triumphierend auf die Liste zeigt. Münzen aus Gold und Kupfer häufen sich auf dem Tisch, purzeln dem Betrachter des Gemäldes von Marinus van Reymerswaele entgegen. Die Männer verbergen ihren Reichtum nicht in Säcken oder Schachteln. Im Gegenteil, sie prahlen mit dem vielen Geld.

Es sind wohl Steuereintreiber, die der niederländische Künstler um 1548 in Antwerpen so karikierend malt. Seine Bildidee wurde vielfach kopiert, denn Steuersammler waren verhasst unter den wohlhabenden Zeitgenossen, die sich Gemälde für ihre Amtszimmer leisten konnten.

Aus heutiger Sicht erscheint das wenig verwunderlich, aus Perspektive der frühen Neuzeit aber ist ein so kritischer Blick auf das Steuerwesen erstaunlich. Hatte Jesus nicht gefordert: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist"? Der Maler Masaccio, ein Wegbereiter der Renaissance, hatte zwischen 1425 und 1428 in der Kirche Santa Maria del Carmine in Florenz ein einflussreiches Gemälde geschaffen, das zeigt, wie Petrus einem Steuereintreiber freiwillig ein gefundenes Geldstück überreicht. Der Künstler unterstützte damit wohl den Plan der Kommune Florenz, ein Grundbuch einzuführen, in dem die Besitztümer der Bürger verzeichnet werden, was ihre Besteuerung erleichtert.

In der alten Welt waren Steuern nicht beliebt, aber auch nicht verschrien. Sie galten als gottgegebene Notwendigkeit, so wie auch dem Geld an sich nichts Böses anhaftete. Ob man es besaß oder nicht, war eine Frage des Schicksals, nicht der Lebensbilanz. Und wer gesegnet war mit Reichtümern, der wusste: Spätestens kurz vor dem Tod empfiehlt es sich, der Kirche und karikativen Einrichtungen viel zu spenden, um nicht vom lieben Gott wegen Habgier in die Hölle geschickt zu werden.

Das Verhältnis zum Geld änderte sich, als sich von etwa 1300 an auch der Charakter des Geldes wandelte: Es wurde in Handelsmetropolen zur Ware, mit der sich Zinsen erwirtschaften ließen. Findige Kaufleute in Siena, Florenz und anderen mittel- und norditalienischen Städten nutzten nach arabischem Vorbild interne Überweisungen in ihrem europäischen Filialsystem und Schecks im Umgang mit Kunden. Letztere ließen sich bei Bankiers einlösen, die den Beruf der Geldwechsler zu einem lukrativen Finanzgeschäft ausbauten und auch Überziehungskredite gewährten. Das Geld musste so nicht mehr zu Pferde quer durch Europa bewegt und Überfällen ausgesetzt werden; es dematerialisierte sich.

Zudem entwickelten Kaufleute Modelle für Firmenbeteiligungen: So übernahm etwa ein reicher Investor alle finanziellen Risiken einer Schifffahrt, auch das eines Totalverlustes der Ware zu hoher See, und ein Kaufmann erledigte für ihn die Geschäfte in der Ferne. Dafür musste er 75 Prozent des Gewinns an den Partner abgeben. Man konnte in der Toskana auch Aktien an Handelsgesellschaften erwerben, die hoch verzinst wurden - wenn das Unternehmen nicht, wie es im 14. Jahrhundert des Öfteren geschah, nach einer Phase von Traumrenditen im Bankrott endete. Den Überblick behielten die Rechenexperten der Firmen mit einer doppelten Buchführung, die Soll und Haben verzeichnete. Sie führten Vermögensbücher mit Schulden- und Guthabenkonten der Kunden. Kapitaleinlagen und Schulden der Teilhaber verzeichneten sie in einem separaten Buch.

Päpste und Könige vertrauten den Bankiers und verpfändeten ihnen die Symbole ihrer Macht

Mit den richtigen Voraussetzungen konnte ein Bürger oder kleiner Adeliger einen Reichtum erwirtschaften, wie es vorher nur Kirchenherren und Landesfürsten möglich war. Ohne diese Entwicklung hätte sich die Renaissance in den Künsten nie entfalten können. Denn neben den Söldnerführern, Herrschern und Klerikern achteten nun auch die Neureichen auf Prachtentfaltung. Sie investierten außer in Altäre und Familienkapellen am liebsten in die Ausstattung ihrer Palazzi, in Porträts, Fresken und Statuen. Was im mittelalterlichen Sozialgefüge einer Rechtfertigung bedurft hatte - privaten Reichtum offensiv als eigenes Verdienst auszustellen -, war nun zwingend für die Repräsentation in einem wettbewerbsorientierten Umfeld.

Die neue finanzökonomische Dynamik wirkte sich überall aus: Bauern gaben dem Grundbesitzer früher einen Teil ihrer Ernte. Jetzt aber mussten sie ihre Waren zu Markte tragen und zahlten Geld für die Bewirtschaftung der Äcker - auch wenn die Ernte schlecht war. Und der einflussreiche Florin, die Florentiner Währung, maß sich am Wert für Gold. Der Goldpreis entschied so mit über den Wert von Waren, unabhängig von ihrem Gebrauchswert. Geld war nicht mehr nur Begleiterscheinung des Schicksals. Es wurde selbst zur treibenden gesellschaftlichen Kraft.

Auch die Politik vertraute diesem spekulativen System. Könige und Päpste begaben sich in die Hände von Bankiers. Sie delegierten das lästige und langwierige Eintreiben der Steuern an Finanzexperten und nahmen Kredite für Feldzüge, die sie manchmal nur zurückzahlen konnten, wenn die Schlachten erfolgreich verliefen. So mischte die neue Geldelite bald in etlichen Staatshaushalten mit und konnte ihre Interessen entsprechend gut zu Gehör bringen. Selbst die Papstwahl beeinflusste sie mit ihren Geldmitteln: Der Bankier Agostino Chigi etwa unterstützte die Wahl von Papst Julius II. im Jahr 1503. Der rutschte noch tiefer in die Schuld des Finanziers, als er ihm nicht nur die Salinen des Kirchenstaates verpachtete, sondern auch die Papstkrone als Pfand überließ. Und der Doge von Venedig hatte Chigi für einen Kredit das Allerheiligste der Serenissima überlassen, den Kirchenschatz von San Marco. Zudem bekam der Bankier das Handelsmonopol auf das wertvolle Mineral Alaun zugesprochen, das Gerbereien benötigten. Die stolze Republik Siena verpfändete Chigi derweil einen Hafen für seine hundert Schiffe starke Handelsflotte.

Ohne Chigi ging im Italien der Hochrenaissance bald nichts mehr. Der residierte in einem Palast unweit des Vatikans, ließ Künstlerstars wie Raffael und Sebastiano del Piombo für sich malen und veranstaltete prächtige Gelage, bei denen das Gold- und Silbergeschirr nach Gebrauch in den Tiber geworfen wurde (wo Chigi unter Wasser Netze aufgespannt hatte, schließlich konnte er mit Geld umgehen). Und doch muss es ihn gequält haben, dass er zwar der mächtigste, nicht aber der anerkannteste Mann im Land war: Lange warb er erfolglos um die Hand einer Hochadeligen, weil Herkunft im Renaissance-Italien immer noch mehr galt als Geld.

So schnell wie das Sein änderte sich das Bewusstsein nicht. Am ehesten spiegelten sich die enormen ökonomischen Umwälzungen in der Kunst, die in diesen Jahren an Freiheit gewann. Im Mittelalter waren Künstler weisungsgebundene Handwerker, jetzt standen ihnen ruhmreichere Möglichkeiten offen: Sie konnten zum Selbstvermarkter werden wie Raffael, der seine vom Papst abgelehnten Entwürfe für die Fresken in den vatikanischen Stanzen einfach in Kupferstiche übersetzen ließ und sie in ganz Europa vertrieb. Künstler konnten Anstellungen an Höfen annehmen wie Leonardo da Vinci in Mailand, der es genoss, über Fragen des Lebensunterhaltes nicht mehr nachdenken zu müssen und zu tun, was ihm gefiel. Sie konnten aber auch ungebunden bleiben wie der enorm erfolgreiche Werkstattchef Tizian in Venedig, um dessen Gunst Kaiser, Päpste und Herzoge rangen.

Schuldscheine zu verkaufen, war in Antwerpen erlaubt. Theologen und Künstler warnten vor Wucher

Sicher, das waren die Überflieger, nicht allen ging es so gut. Doch wer etwa die Florentiner Steuerunterlagen des Jahres 1427 studiert, sieht, welchen neuen finanziellen - und damit gestalterischen - Spielraum viele Künstler der Renaissance hatten. Der Maler Paolo Uccello investierte seinen Gewinn in Ländereien und steigerte die Pachteinkünfte in Kürze um das Dreifache. Der Bildhauer Michelozzo beanspruchte Steuerfreibeträge für das Maultier seiner Werkstatt und sogar für den Unterhalt seiner Mutter, um die beträchtlichen Gewinne seiner Arbeit herunterzurechnen. Künstler wurden in diesen Jahren zu Unternehmern. Auch das veränderte ihren Blick auf das Geld.

Besonders sensibel reagierten niederländische Künstler auf das ökonomische Geschehen. Seit europäische Seefahrer Ende des 15. Jahrhunderts bis zu den amerikanischen Küsten vorgedrungen waren, war Antwerpen einer der wichtigsten Häfen Europas. Konsortien siedelten sich hier auch deshalb an, weil es kaum Handelsbeschränkungen gab. Während Bankiers in Brügge vereidigt sein mussten, durfte in Antwerpen jeder mit Geld handeln. Es war erlaubt, Schuldscheine zu verkaufen. Kreditlasten wurden so gerade für Mittelständler unberechenbar. Wie der Kunsthistoriker Norbert Schneider darlegt, wendet sich Marinus van Reymerswaele in seinem Porträt der beiden Geldeintreiber an dieses vom neuen Finanzwesen erschütterte Publikum ("Von Bosch zu Bruegel". Litverlag, Münster 2015).

Wenn der Maler seine zwei Protagonisten so karikiert, dann mochten sich zeitgenössische Betrachter an christliche Einwände gegen Wucher erinnert fühlen. Von Thomas von Aquin bis Martin Luther haben Theologen immer wieder vor der Gier nach überhöhten Geldgewinnen gewarnt. Moralisch mögen sie und die wütenden Bildbetrachter von Antwerpen im Recht sein. Historisch aber setzen sich auf lange Sicht diejenigen durch, die sich auf die Kunst der Zinseinnahmen und Dividenden verstehen, wie es die Kaufleute aus der Toskana als Erste vorgemacht haben.

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Quelle:
SZ vom 01.03.2016
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