Süddeutsche Zeitung

Subventionen:Forscher fordern stärkere Förderung des ländlichen Raumes

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Von Alexander Hagelüken, München

Wenn die ostdeutschen Regierungschefs am Mittwoch Kanzlerin Angela Merkel treffen, haben sie einiges zu besprechen. Um die wirtschaftliche Kluft zum Westen zu verringern, forderten Forscher gerade eine radikal andere Förderung: Sie wollen staatliche Milliarden künftig vor allem in Städte stecken. Ist das der Königsweg? Eine neue Studie hält dagegen.

Drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung sind die Unterschiede nach wie vor enorm. Kein ostdeutsches Bundesland erreicht bisher die Produktivität des Saarlands, des schwächsten Vertreters im Westen. Im Schnitt schaffen die Ostländer und Berlin 82 Prozent des Westniveaus. Was tun? Etwas anderes als bisher, schlug vor Kurzem das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) vor. Die breite Förderung für alle Regionen habe Geld in falsche Richtungen geleitet. IWH-Präsident Reint Gropp will das Geld vor allem in Städte lenken: "Natürlich ist es hart zu sagen, wir müssen ländliche Räume aufgeben. Aber nur so haben wir eine Chance, die Unterschiede zwischen Ost und West irgendwann auszugleichen". In einer Wissensgesellschaft seien Städte zentral - und der Osten im Abseits. Während drei von vier Westbewohnern in Städten arbeiten, gilt das nur für jeden zweiten Ostdeutschen.

"Nur noch in Städte als Leuchttürme zu investieren, halten wir für falsch"

Der IWH-Vorschlag wird auch so verstanden, als ob man die Förderung konzentrieren und schwache ländliche Gebiete notgedrungen weiter absacken lassen sollte. Die Ministerpräsidenten der neuen Länder dürften anderer Meinung sein. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg wird im Herbst eine neue Regierung gewählt - und zwar nicht nur in Städten.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) widerspricht den Kollegen nun ökonomisch. "Nur noch in Städte als Leuchttürme zu investieren, halten wir für falsch", so eine Studie, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hat das DIW bundesweit die Produktivität untersucht, die die wirtschaftliche Effizienz misst. Die Produktivität steigt zum Beispiel, wenn die gleiche Zahl Arbeiter durch bessere Maschinen, Qualifizierung oder Organisation mehr Produkte herstellen. Ergebnis der Studie: Ja, es gibt markante Unterschiede zwischen Stadt und Land - überall in der Republik. Städte hatten 2017 eine um elf Prozent höhere Arbeitsproduktivität als der deutsche Durchschnitt.

Bei der Industrie waren es sogar 20 Prozent. Die Städte zeichnet eine gute Infrastruktur aus, sie sind mit ihrem Umland vernetzt - und locken so Unternehmen an. Manche Städte setzen sich dabei immer stärker vom Rest der Republik ab: die Großstädte München und Hamburg genauso wie die Gegenden, in denen sich die Chemie- und Autoindustrie konzentriert.

So wird die West-Ost-Kluft stark zu einer Stadt-Land-Spaltung. Denn die urbanen Boomregionen finden sich vor allem im Westen. Den Osten dagegen prägen die ländlichen Gegenden mehr. "Der West-Ost-Unterschied ist in erheblichem Maße ein Stadt-Land-Unterschied", urteilt Torben Stühmeier von der Bertelsmann-Stiftung. Vergleicht man das östliche Land mit dem westlichen, sind die Differenzen klein.

"Die ländlichen Regionen müssen deutlich stärker gefördert werden"

Die Städte machen bisher den Unterschied, und da liegt der Osten hinten: So weit stimmt die Analyse mit dem Hallenser Institut überein. Die DIW-Forscher ziehen daraus aber einen anderen Schluss: Sie wollen die ländlichen Regionen gezielt fördern, statt sie weiter absacken zu lassen. Das ostdeutsche Land hole auf. Die Effizienzunterschiede verringern sich. Dafür stehen Regionen wie Nordthüringen, Oberlausitz-Niederschlesien oder Prignitz-Oberhavel. Von den zehn Gegenden in der Bundesrepublik, in denen seit der Jahrtausendwende die Arbeitsproduktivität am stärksten zunahm, liegen neun im Osten. Allerdings klemmt es seit der Finanzkrise beim Aufholen.

Die Ökonomen fordern eine gezieltere Förderung - nicht nur der Städte, sondern aller Gegenden in Deutschland. Und wonach richtet die sich? Die städtischen Boomregionen fallen besonders durch eine hohe Kapitalausstattung auf. Deshalb wollen die Forscher Investitionen anregen, etwa in Forschung und Entwicklung durch Zuschüsse und höhere Abschreibungen für die Firmen. Und in die Mitarbeiter durch mehr Weiterbildung. Der Staat soll die Infrastruktur etwa der Kommunikationsnetze ausbauen und Fachhochschulen abseits der Boomregionen ansiedeln.

Die Forscher wollen den wirtschaftlichen Erfolg auf die ganze Republik verteilen, damit die Schere zwischen Stadt und Land nicht weiter auseinandergeht. Auch im Westen gibt es schwache Regionen wie die Pfalz und Oberfranken. Sich nur auf die Städte zu konzentrieren, sei falsch. "Die ländlichen Regionen müssen deutlich stärker gefördert werden," sagt Torben Stühmeier.

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SZ vom 02.04.2019
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