Süddeutsche Zeitung

Silicon Beach:Spieglein, Spieglein

Lesezeit: 3 min

Die Coronavirus-Pandemie hat für einen Trend gesorgt: Fitness daheim. Die Aktivitäten in der Tech-Branche zeigen, dass es sich wohl nicht nur um ein kurzfristiges Phänomen handeln dürfte.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Na, schon für einen Halbmarathon angemeldet? Oder einen Bodybuilding-Wettbewerb? Oder wenigstens ein paar Fotos auf sozialen Medien hochgeladen, um Freunde und Ex-Partner vor Neid erröten zu lassen? Prison Shape nennen die Amerikaner den körperlichen Zustand eines Menschen, der wie ein Häftling den ganzen Tag nichts anderes macht, als Muskeln zu stählen. Die Restriktionen während der Coronavirus-Pandemie kamen vielen wie ein Gefängnis vor, also parkten sich die einen mit selbstgebackenem Brot auf der Couch, häkelten einen Pulli und guckten alles, was die Bibliotheken der Streamingdienste so hergaben. Die anderen verwandelten ihr Zuhause in ein Fitnessstudio und brachten sich in, nun ja, Gefängnis-Form.

In den Wohnungen stehen nun eine Ballettstange mit Tablet-Halter von Bar Method, ein stationäres Fahrrad mit Monitor von Peloton und verstellbare Hanteln von Bowflex, an der Wand hängt der Spiegel von Mirror, ein Unternehmen, das bis Jahresende für 500 Millionen Dollar vom Lifestylekonzern Lululemon übernommen werden soll. "Digital Fitness" heißt dieser Trend, weil die Leute daheim nicht nur Sport treiben, sondern sich in Live-Klassen von Trainern motivieren lassen, ihre Fortschritte mit anderen Kunden vergleichen und über Gruppenunterrichte eine Art Gemeinschaftsgefühl entwickeln.

Die Frage ist, wie bei so vielen Trends während der Pandemie (backt noch jemand Brot?): Ist das nun eine kurzfristige Auffälligkeit, oder steckt mehr dahinter? Die Risikokapitalgeber im Silicon Valley jedenfalls sind aufgeregt wie schon lange nicht mehr, aus dem Umfeld einer der bedeutsamsten Firmen ist zu hören, dass die Geldspeicher geöffnet werden, sobald jemand "Digital Fitness" erwähnt - also in etwa wie 2014, wenn jemand "Virtual Reality" sagte oder ein Jahr später "Artificial Intelligence".

Was passiert, lässt sich am besten an Peloton ablesen. Das Unternehmen verkauft stationäre Fahrräder und Laufbänder mit Monitoren, auf denen die Kunden den Unterricht verfolgen können, den Trainer aufzeichnen, gegen eine monatliche Abo-Gebühr. Es war hip, was Peloton anbot, jedoch auch teuer. Der Börsengang im September 2019 verlief, wie so viele im vergangenen Jahr, eher ernüchternd, am ersten Handelstag gab das Papier um mehr als elf Prozent nach. Kurz danach gab es ein Marketingdebakel, ein Werbespot wurde als sexistisch geschmäht, weil ein Mann seiner Frau so ein Gerät schenkte, damit sie endlich in Form komme.

In der Tech-Branche gilt freilich, was überall gilt: Schlechte PR ist gute PR, und als das Virus den Alltag der meisten Menschen zu bestimmen begann, musste Peloton sein Geschäftsmodell nicht wie viele andere Unternehmen verändern. Der Konzern vermeldete bei den Quartalszahlen vor zwei Wochen einen Umsatzanstieg um 172 Prozent auf 607,1 Millionen Dollar und übertraf alle Erwartungen der Anleger. Zum ersten Mal gab es Gewinn, 27 Cent pro Aktie, und der Ausblick auf die kommenden drei Monate war noch rosiger: Erwartet waren 506 Millionen Dollar Umsatz, das Unternehmen prognostizierte angesichts mehr als einer Millionen Abonnenten und Expansion auch nach Deutschland im kommenden Jahr mehr als 720 Millionen Dollar Umsatz.

Nun werden in zahlreichen Ländern die Restriktionen gelockert und dann wieder verschärft - und die Frage lautet: Ist "Digital Fitness" ein Corona-Hype oder ein langfristiger Trend?

Die Kapitalgeber im Silicon Valley jedenfalls haben die Bullen losgelassen, wie eine Liste des Insiderportals Techcrunch zeigt. Zwift, das Online-Rennen auf dem Fahrrad oder Laufband auf virtuellen Strecken in Paris, London oder Innsbruck veranstaltet und an deren Tour de France im Juli mehr als 117 000 Leute teilnahmen, wird nach einer Finanzierungsrunde in Höhe von 450 Millionen Dollar nun mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet. Tonal, eine Art Mirror mit eingebauten Fitnessgeräten und künstlicher Intelligenz als Trainer, hat unter anderem von den Basketballstars Stephen Curry, Paul George und Rudy Gay 110 Millionen Dollar eingesammelt. Tempo, noch ein Mirror-Konkurrent, wird nach einer 60-Millionen-Runde mit 250 Millionen Dollar bewertet.

Es geht noch weiter: Neou, ein Streamingportal für Fitnesstrainer, ist kürzlich mit fünf Millionen Dollar gefördert worden. "Wir wollen Netflix für unsere Kunden sein und gleichzeitig Amazon für Leute, die Inhalte erstellen", sagt Neou-Gründer Nathan Forster. Fitnessstudios, die in vielen Ländern noch immer geschlossen sind, waren vor allem deshalb reizvoll für Kunden, weil sie für verhältnismäßig geringe Gebühr die Nutzung vieler Geräte und einen abwechslungsreichen Trainingsplan erlaubten. Fitnessstudios waren, was Fernsehen war: Sie konnten tun, was sie wollten, weil es nun mal keine kundenfreundlichere Alternative gab.

Die Leute haben erkannt, dass sie mit wenigen Einschränkungen trainieren können, wann und wo sie wollen, und viele Unternehmen der Digital-Fitness-Branche sind dabei, das Platz-Problem zu lösen, indem sie anbieten, dass etwa ein stationäres Fahrrad an der Wand befestigt werden kann. So wie viele Leute nun feststellen, dass man Konferenzen auch per Video-App abhalten oder einen Vertrag auch virtuell unterschreiben kann - all das hat es übrigens auch schon vor der Pandemie gegeben -, bemerken sie, dass sie nicht mehr unbedingt in ein Fitnessstudio müssen, um sich in Gefängnis-Form zu bringen.

Deshalb, nochmal: Schon für einen Halbmarathon angemeldet?

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