Süddeutsche Zeitung

Feminismus:Die Gleichstellung muss sich in allen Unternehmen durchsetzen

Lesezeit: 3 min

Feminismus ist zu einer gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit geworden - das reicht nicht aus. Denn noch ist Gleichstellungspolitik auf Großkonzerne fokussiert.

Kommentar von Andrea Rexer

Was für ein Jahr für Feministen! Was für ein Jahr für ihre Hasser! Schon im Januar 2017 setzen sich tausende Demonstranten rosa Mützen auf, um bei der Vereidigung von US-Präsident Donald Trump gegen dessen frauenfeindlichen Äußerungen zu protestieren. In Berlin ließen sich im April Kanzlerin Angela Merkel und Währungsfondschefin Christine Lagarde nebst Ivanka Trump beim globalen Frauengipfel ablichten - während im Wahlkampf deutsche Rechtspopulisten Parolen "gegen den Gender-Wahn" plakatierten. Im Herbst schließlich erschütterte die Sexismus-Debatte unter dem Schlagwort "Me Too" von Hollywood ausgehend die ganze Welt. Da verwundert es überhaupt nicht, dass in den USA "feminism" zum Wort des Jahres erklärt wurde (in Deutschland landete "Me Too" immerhin auf Rang drei).

Noch vor einigen Jahren galt es vielen als Schimpfwort, wenn man sie als Feminist oder Feministin bezeichnete. Das ist heute anders. In dem Begriff schwingt eine neue Selbstverständlichkeit mit, zu der ausgerechnet ihre Feinde den entscheidenden Beitrag geleistet haben. Das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte - sei es Trump in den USA, sei es die AfD in Deutschland - löst bei all jenen, die einem offenen Weltbild anhängen, einen Drang zur Distanzierung aus. Und das Frauenbild ist eines der sichtbarsten Unterscheidungsmerkmale zwischen modernen und rückständigen Positionen.

Dieses Momentum könnten Unternehmenslenker und die künftige Regierung nutzen, um 2018 konkrete Gleichstellungs-Maßnahmen umzusetzen. Und zwar nicht nur für eine kleine Elite an der Spitze der Gesellschaft, sondern für die breite Masse der arbeitenden Bevölkerung. Denn im Berufsleben ist Diskriminierung am deutlichsten zu spüren.

Bisher hat sich die Gleichstellungspolitik der Regierung vor allem auf Frauen in Führungspositionen von Großkonzernen konzentriert. Es gibt eine verbindliche Quotenregelung für Frauen in Aufsichtsräten und eine unverbindliche Regelung für Vorstände. Und tatsächlich hat sich hier die Situation für einige Frauen an der Spitze zum Positiven verändert. Es gibt deutlich mehr weibliche Aufseherinnen und Vorstände in den Konzernen. Erstmals verdienen Vorständinnen in Dax-Konzernen im Durchschnitt sogar etwas mehr als ihre männlichen Kollegen. Allerdings stehen den 125 Männern in diesen Gremien immer noch nur 18 Frauen gegenüber; und Vorstandschefs sind in dieser Rechnung von vornherein ausgeklammert - schlicht, weil es unter ihnen keine einzige Frau gibt.

Ausländische Investoren legen Wert auf Gleichstellung

Es ist zwar in Ordnung, wenn ein paar Einzelne von den Regelungen profitieren. Man mag auch auf einen gewissen Abstrahl-Effekt durch öffentlich präsente Vorbilder hoffen. Doch leider sieht die Bilanz in der Breite der Gesellschaft längst nicht so gut aus. Sobald man in kleinere oder mittelgroße Betriebe schaut, verdienen Frauen in Chefetagen teils sogar weniger als in den Jahren zuvor, auch die Zahl der Frauen in Führungspositionen verändert sich kaum. Ähnlich sieht es in der breiten Masse der Angestellten aus: Der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen hat sich nur minimal verändert, im mittleren Management kommen Frauen nur langsam voran.

Verstärkt wird der Unterschied zwischen Großkonzernen und kleineren Unternehmen durch den Einfluss ausländischer Investoren. Vor allem US-Fonds machen deutschen Konzernen Druck, wenn sie Vielfalt im Management nicht ernst nehmen. Investoren wie Blackrock etwa sehen Diversität als wirtschaftlichen Erfolgsfaktor. Bei kleinen und mittleren Unternehmen gibt es diese Mahner von Kapitalseite selten.

Feminismus ist keine Klientelpolitik

Umso wichtiger ist es, dass Politik und Tarifpartner in 2018 ihre Aufmerksamkeit auf die gesamte Gesellschaft richten. Dazu gehören flexible Arbeitszeitmodelle und Familienförderung genauso wie die gezielte Heranführung von Frauen an technische - und von Männern an soziale - Berufe. Denn unter dem Strich geht es darum, allen Menschen gleichermaßen Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Ohne vorgefertigte Rollenbilder, die Männer genauso wie Frauen einschränken.

Gefragt, warum er sich als Feminist bezeichne, brachte es der schwedische Starinvestor Sven Hagströmer auf den Punkt: "Sind Sie denn nicht für gleiche Rechte für alle Menschen?" Der moderne Feminismus ist keine Klientelpolitik allein für Frauen. Er ist Ausdruck einer freien Geisteshaltung, die jedem Menschen als Individuum mit Wertschätzung entgegenblickt. Der Geist des neuen Feminismus ist kein weiblicher, es ist ein menschlicher.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3811251
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 03.01.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.