Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Garantiertes Chaos

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Jahrelang befeuerte Chinas Führung einen Boom auf Pump. Nun droht dem Immobilienkonzern Evergrande der Kollaps. Und das könnte nur der Anfang sein.

Von Christoph Giesen

Der Handel an der Börse in Hongkong ist ausgesetzt, die Tage des chinesischen Immobilienunternehmens Evergrande scheinen gezählt. Schulden in Höhe von 300 Milliarden Dollar drücken den Konzern. Wird er unkontrolliert kollabieren oder greift die Führung in Peking in letzter Minute ein und verstaatlicht Evergrande? Das fragen sich nun Analysten, Ökonomen und Anleger überall auf der Welt. Dabei ist Evergrande nur das Symptom einer viel größeren Krise - die womöglich das Ende des chinesischen Wirtschaftswunders bedeuten könnte.

Es geht nicht um dieses einzelne Unternehmen, sondern um den Immobilienmarkt und das große Ganze in China. 60 Prozent der chinesischen Vermögen sind in Beton anlegt, in den USA ist es gerade mal ein Viertel. Ein Kollaps des Immobilienmarktes, ausgelöst durch Panikverkäufe nach einer Evergrande-Pleite, könnte deshalb verheerende Auswirkungen haben, auch politisch. Denn: Getragen wird die Staatsführung vor allem von der Mittelschicht, die in den großen Städten lebt und noch nie viel Geld verloren hat. Ihr Pakt mit der Regierung ist simpel: Wir halten den Mund und ihr seht zu, dass es uns ökonomisch besser geht. Seit 1989, seit dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens, funktioniert dieser Deal.

Das zentrale Problem sind die Garantieversprechen der Regierung. Eine Wohnung in Peking oder Shanghai kostet längst so viel wie in London oder New York. Mit einem feinen Unterschied: In China pachtet man die Wohnung nur für 70 Jahre. In vielen Fällen stehen die Immobilien zudem leer, weil sich keine Mieter finden. Dennoch wird wie wild investiert. Alle wissen, dass es eine Blase ist - nur platzen darf sie nicht, das wird die Regierung schon abwenden.

Nun aber macht sich die Führung in Peking tatsächlich daran, die ersten Garantien zu kassieren. Das alte Edikt, die Wirtschaft müsse um jeden Preis um sieben oder acht Prozent wachsen, gilt nicht mehr. Und auch Evergrande steckt in der Krise, weil das Unternehmen keine neuen Kredite mehr aufnehmen darf, eine Vorgabe der Behörden. Im Kern ist das richtig - nur könnte es für ein kontrolliertes Schrumpfen der Blase schon zu spät sein. Notwendige Reformen wurden jedenfalls jahrelang verschleppt.

Chinas Sparer investieren in Immobilien, andere Alternativen gibt es nicht

In China hängt alles mit allem zusammen: Die Banken, die Staatskonzerne, die Überkapazitäten und die horrenden Schulden. Da sind zum Beispiel die vier großen Geldinstitute, Spötter nennen sie auch die "Viererbande". Gemeinsam mit ein paar kleineren Banken kontrollieren sie den chinesischen Markt. Bis vor Kurzem legte der Staat die Höhe ihrer Zinsen fest. Chinas Sparer bekamen wenig, Kredite wurden mit einem ordentlichen Aufschlag vergeben. Heute sind die Zinsen zwar frei, doch die Geldhäuser halten sich weitestgehend an die alten Sätze. Ein Zins-Kartell hält die Volksrepublik im Griff. Die Folge: Chinas Sparer investieren in Immobilien, andere Alternativen gibt es nicht.

Nach der Finanzkrise 2008 rühmten sich die Kader in Peking, dass ihre Banken unbeschadet davongekommen waren und sich nicht mit toxischen Papieren vollgesogen hatten. Es stimmt, ein chinesisches Lehman Brothers gibt es nicht, doch die Wahrheit ist auch: Chinas Geldhäuser sind eigentlich keine richtigen Banken, allenfalls staatlich betriebene Pfandhäuser. Damit kein Institut pleitegeht, legt der Staat eine Quote fest, wie viele Kredite vergeben werden dürfen. Um keinen Ärger zu bekommen, und um die Verwaltungskosten so gering wie möglich zu halten, vergeben viele Banken ihre Kredite am liebsten an Staatskonzerne, an Stahlwerke, Zementfabriken oder Aluminiumhütten. Die nehmen viel Geld auf einmal ab - und notfalls haftet der Staat. Mit dem Stahl und dem Zement wurden Häuser hochgezogen, ganze Geisterstädte gemauert. Neue Flughäfen sind entstanden, Autobahnen wurden geteert und das größte Schnellbahnnetz der Welt eingerichtet. Von allem viel zu viel.

Etliche Kommunen sind deshalb nun heillos verschuldet, die Wirtschaft aber wuchs wie staatlich versprochen. Diese Garantie, mit der ganze Generationen von Chinesen aufgewachsen sind, ist nun ins Wanken geraten. Dieser staatlich befeuerte Boom droht nun jäh zu enden.

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