Süddeutsche Zeitung

Europäische Zentralbank:Ein deutscher EZB-Chef? Lieber nicht

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Es gibt in Deutschland ein großes Interesse, den Nachfolger von Mario Draghi zu stellen. Was das bringen würde? Vor allem eine Menge Ärger.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Es gibt in Deutschland ein großes Interesse, den nächsten Präsidenten der Europäischen Zentralbank zu stellen. Wie groß die Ambitionen sind, zeigt sich daran, dass die Bundesregierung bereits zwei Jahre vor dem Wechsel im Herbst 2019 die Debatte darüber angezettelt hat, seitdem läuft sie. Und, ja, auch das ist klar: Mit Bundesbankpräsident Jens Weidmann steht ein hervorragender Kandidat bereit. Dennoch wäre Berlin gut beraten, auf das Amt zu verzichten.

Der Grund dafür liegt in der besonderen Verknüpfung von nationaler Erwartung und tatsächlichem Mandat, wie sie beim Amt des Präsidenten der EZB besteht. Es ist ein Gemisch, das Enttäuschung sozusagen programmiert.

Fakt ist, dass der EZB-Chef unabhängig von seiner Nationalität verpflichtet ist, seine Entscheidungen am Wohl der Eurozone als Ganzes auszurichten. Er kann weder französische noch niederländische, slowenische oder deutsche Wünsche erfüllen. Vielmehr muss er dafür sorgen, dass es dem Währungsraum gutgeht und die Kaufkraft des Euro stabil bleibt.

Das Unabhängigkeitsgebot hält nationale Regierungen nicht davon ab, Erwartungen an die Zentralbank zu formulieren oder Kurskorrekturen zu fordern. Die Bundesregierung ist dabei keine Ausnahme. Erinnert sei an den früheren Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der dem aus Italien stammenden EZB-Chef Mario Draghi einst vorwarf, mit seiner Nullzinspolitik ein Förderprogramm für die AfD aufgelegt zu haben. Der Vorwurf zeigt die Dimension des Problems: Die von der EZB betriebene Geldpolitik kann nicht alle Bevölkerungsschichten in allen 19 Euro-Staaten gleichermaßen befrieden. Die niedrigen Zinsen, die den deutschen Häuslebauer und die italienischen Unternehmen freuen, ärgern alle Bürger, die sparen und für das Alter vorsorgen wollen. Besonders in Deutschland.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass sich viele Deutsche einen Landsmann an der Spitze der Zentralbank wünschen. Der Wunsch nährt sich aus der Hoffnung, dass mit Jens Weidmann die viel beschworene deutsche Stabilitätskultur in die Chefetage der EZB einzöge. Das Ankaufprogramm für Unternehmensanleihen liefe aus, Schluss wäre mit der Politik des billigen Geldes, die Zinsen stiegen. Das Problem ist nur, dass genau diese Erwartung sich schnell als Illusion erweisen würde. Denn mal abgesehen vom Mandat gilt auch: Die Geldpolitik der EZB wird nicht vom Präsidenten allein gemacht.

Sicher, der Chef der Notenbank setzt den Ton. Legendär ist der Auftritt Draghis im Sommer 2012 in London, als er mit der Ansage, er werde alles tun, um den Euro zu bewahren, die Währungsunion vor dem Untergang rettete. Und sicher ist es auch so, dass der Präsident im Rat der Notenbank besonderes Gewicht hat. Aber ebenso gilt: Umsetzen kann er seine Ideen nur, wenn es eine Mehrheit dafür gibt.

Wer sich die Szenarien durchdenkt, die mit einem deutschen EZB-Präsidenten realistisch erscheinen, kommt zu dem Schluss, dass der Posten jede Menge Ärger und politische Verwerfungen in der Euro-Zone mit sich bringen kann.

Den Job lieber einem kleineren Land überlassen

Leitet die EZB mit einem Deutschen im Chefsessel erkennbar die Zinswende ein, würde sich das schnell in den südlichen Ländern der Euro-Zone auswirken. Die Finanzierungskosten für Staaten mit hohem Verschuldungsstand und für Firmen dort stiegen, ihre Wettbewerbsfähigkeit nähme ab. In der öffentlichen Meinung würde, ähnlich wie in der Griechenlandkrise, der hässliche Deutsche auferstehen, der andere Staaten zum Sparen zwingt. Die Zentralbank würde attackiert, unabhängig davon, ob die Zinswende auch ohne deutschen Chef angefangen hätte.

Bleibt die Geldpolitik dagegen auch unter einem Deutschen unverändert, wird das jene Bürger enttäuschen, die sich jetzt Weidmann als Zentralbankchef wünschen. Das Murren in Deutschland gegen die Euro-Zone und deren Entscheidungen gegen deutsche Sparer nähme zu. Der deutsche Präsident würde als kraftlos wahrgenommen, der Ärger über die angebliche Transferunion wachsen. Nicht ausgeschlossen, dass Euroskeptiker neuen Zulauf bekämen.

Der Ausweg? Statt auf das prestigeträchtige Amt zu pochen, sollte Berlin den Job einem kleineren Land überlassen. Es ersparte der Euro-Zone jede Menge absehbaren Ärger. Und Deutschland bliebe der Einfluss erhalten, auch ohne Chefposten.

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Quelle:
SZ vom 28.02.2018
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