Süddeutsche Zeitung

EU-Wahlkampf:"Bummelstreik der Bundesregierung"

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Dem Europaabgeordneten Sven Giegold geht es bei der Umsetzung der EU-Sammelklage nicht schnell genug voran. Seine Kritik zielt vor allem auf die SPD.

Von Karoline Meta Beisel, Brüssel

Neben der Urheberrechtsreform hat das EU-Parlament in dieser Woche ein weiteres Gesetz verabschiedet. Für Verbraucher dürfte diese Richtlinie mindestens so wichtig sein wie das Urheberrecht: Mit großer Mehrheit einigten sich die Abgeordneten auf Regeln für eine neue europäische Sammelklage. Bei Skandalen, die mehrere EU-Mitgliedstaaten betreffen, Stichwort Dieselskandal, soll es für Verbraucher demnach leichter werden, sich über Grenzen hinweg zusammenzuschließen. Der Beschluss sei ein "Sieg für die Verbraucherrechte", freute sich der zuständige Berichterstatter des Parlaments, der Franzose Geoffroy Didier, nach der Abstimmung am Dienstag.

Damit die neue EU-Sammelklage Gesetz werden kann, müssen auch die Mitgliedstaaten im Rat den Regeln zustimmen. Doch dort geht nach Ansicht des grünen EU-Abgeordneten Sven Giegold wenig voran. Er fürchtet, der Rat könnte das Thema verschleppen: "Offenbar fehlen Mitgliedstaaten mit dem Willen, in der Sache wirklich voranzukommen", sagt er. Die EU-Sammelklage sei aber gerade auch für Deutschland wichtig, denn: "Die deutsche Musterfeststellungsklage ist schwächer als die Instrumente in anderen Ländern."

Auch die Sozialdemokraten im Europaparlament kritisieren das langsame Tempo. Sie sprechen gar von einer "Blockade". Und in einer Mitteilung des EU-Verbraucherverbandes Beuc heißt es: "Die Mitgliedstaaten müssen das Thema jetzt mit der angemessenen Dringlichkeit voranbringen."

Der BDI warnt davor, dass "die hohe Missbrauchsgefahr noch nicht gebannt" sei

Dokumente, die der SZ vorliegen, zeigen, dass die Vorwürfe hinsichtlich des Arbeitstempos nicht ganz unberechtigt sind. Seit Monaten bearbeitet die zuständige Arbeitsgruppe im Rat der Mitgliedstaaten in Ruhe einen Artikel nach dem anderen. Im Januar regte die Bundesrepublik an, es sei "zweckmäßig, die Frage nach der Kompetenzgrundlage noch einmal gründlich zu prüfen", heißt es in einem internen Bericht, den die deutsche Vertretung in Brüssel nach Berlin kabelte. Beim nächsten Treffen sechs Wochen später musste die Diskussion zu dem Thema noch einmal verschoben werden, weil der beauftragte juristische Dienst nicht an der Sitzung teilnehmen konnte. Auch der rumänischen Ratspräsidentschaft scheint es nicht zu gelingen, das Tempo zu beschleunigen: "Ein Teil der Vorschläge schien mehr Fragen aufzuwerfen, als sie zu lösen", heißt es in einem Bericht aus dem Februar.

Ein Skandal, findet Sven Giegold. Sein Appel gilt auch ganz konkret der Bundesregierung, vor allem Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD): "Ich erwarte von Frau Barley, dass sie auf die Tube drückt und den Bummelstreik der Bundesregierung einstellt."

Das Justizministerium weist die Vorwürfe zurück: Bei dem Entwurf handele es sich "um einen Vorschlag, der zahlreiche schwierige Fragen des Verfahrensrechts und auch des Internationalen Privatrechts aufweist", teilt eine Sprecherin mit. Es bestehe in allen Mitgliedstaaten ein "erheblicher Prüf- und Abstimmungsbedarf", vor allem, was den Anwendungsbereich der Richtlinie angeht. Auch innerhalb der Bundesregierung sei die Abstimmung zu dem Gesetzentwurf noch nicht abgeschlossen.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hatte aus Sorge vor einer regelrechten Klageindustrie wie in den USA bereits den ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission heftig kritisiert. Auch für die Entscheidung des Parlaments findet er deutliche Worte. "Die hohe Missbrauchsgefahr von Sammelklagen ist nicht gebannt", sagt Iris Plöger, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung. So seien etwa Klagen ohne Wissen der Verbraucher, wie sie der Vorschlag des Parlaments vorsieht, "falsch: Dem muss die Bundesregierung im Rat entgegenwirken."

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SZ vom 29.03.2019
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