Süddeutsche Zeitung

EU-Gipfel:Einfach durchgemerkelt

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Europa beugt sich der Kanzlerin - und das ist gut so. Denn die Methoden, mit denen Angela Merkel die anderen EU-Länder auf ihre Linie zwang, mögen fragwürdig gewesen sein - rechtlich wie politisch aber wählte sie den einzig richtigen Weg.

Martin Winter

Der Ärger hat sich gelohnt, den Angela Merkel mit ihrer sturen Forderung nach einer Änderung der europäischen Verträge auf sich gezogen hatte. Nun ist ihr die EU gefolgt, und damit ist jenen der Weg verstellt, die versucht hatten, eine Veränderung in den europäischen Strukturen durch juristische Hintertürchen an den europäischen Bürgern vorbei zu bewirken. Das war rechtlich problematisch und politisch unzuträglich.

Als die EU-Regierungschefs im Frühjahr in einer Notoperation den 750 Milliarden Euro umfassenden Rettungsschirm aufspannten, ohne die Völker zu fragen, da war das gerechtfertigt. Man musste handeln, weil eine finanzielle Katastrophe unmittelbar drohte. Rechtlich steht der Schirm aber auf einer wackeligen Basis. Man muss den Vertrag von Lissabon schon arg verbiegen, um alle europäischen Steuerzahler für die Schulden miserabel wirtschaftender Mitgliedstaaten haften zu lassen. Aber dennoch musste gehandelt werden, weil Nichtstun mehr Gefahren barg als eine zeitlich befristete Überdehnung des Vertrages.

Die Krise ist zwar noch nicht vorbei, die unmittelbare Gefahr aber sehr wohl. Darum muss das, was aus der Not geboren wurde, sich aber im Prinzip auch für die Zukunft als tauglich erwiesen hat, jetzt auf ein rechtlich sicheres Fundament gestellt werden. Man mag über die Methoden klagen, mit denen Merkel den EU-Gipfel auf ihre Linie gezwungen hat. Aber sowohl aus dem rechtlichen wie aus dem politischen Blickwinkel hat sie den einzig aufrichtigen Weg gewählt.

Rechtlich hätte sich Deutschland ohne vertragliche Absicherung nicht beteiligen können, wenn der auf drei Jahre begrenzte Rettungsschirm einfach verlängert worden wäre. Das Bundesverfassungsgericht wäre Merkel zu Recht in die Parade gefahren. Die anderen Regierungschefs beugten sich diesem Argument, weil ein Rettungsschirm ohne Deutschland nutzlos wäre. Nun hat die Politik das Problem wieder an sich genommen und entscheidet selbst über den Schutz Europas. In der Politik gehören diese Entscheidungen auch gefällt.

Es ist erstaunlich, dass nicht nur der Chef der EU-Kommission, sondern auch führende Köpfe des Europäischen Parlaments glaubten, ein so gewaltig teures Instrument, das die Beziehungen unter den Mitgliedsländern nachhaltig verändert und eines Tages über das Schicksal Europas entscheiden kann, ohne ein Votum der Völker in die Welt setzen zu können. Da muss man sich nicht wundern, wenn das Misstrauen gegen ein Brüssel wächst, das sich klammheimlich immer mehr Macht zu sichern sucht.

Nun liegt es an den Regierungen, ihre Bürger und ihre Parlamente von dem Krisenmechanismus zu überzeugen. Das dürfte ihnen nicht schwer fallen, denn Merkel hat ebenfalls die populäre Forderung durchgesetzt, dass in Zukunft nicht allein der Steuerzahler die Last einer Krise zu tragen hat, sondern dass auch die privaten Gläubiger eines Staates zur Kasse gebeten werden.

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Quelle:
SZ vom 30.10.2010
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