Süddeutsche Zeitung

Erfindungen:Migration ist ein Innovationstreiber

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Ohne Erfinder mit ausländischen Wurzeln wäre die Zahl der in Deutschland angemeldeten Patente in den vergangenen zehn Jahren gesunken, stellt eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft fest.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Vor etwas mehr als einer Woche haben die beiden Biontech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland verliehen bekommen; für ihre Entwicklung des weltweit ersten, wirksamen Covid-19-Impfstoffs. "Ich bin sicher", sagte Steinmeier, "eine ähnlich existenzielle wissenschaftliche Großtat ist in diesem Schloss hier selten ausgezeichnet worden."

Şahin kam als Vierjähriger nach Deutschland, Türeci wurde im niedersächsischen Lastrup geboren und wuchs erst bei den Großeltern in Istanbul auf. Ihr Fall zeigt exemplarisch, wie bedeutsam Migration sein kann für die Innovationsfähigkeit eines Landes. Das macht auch ein noch unveröffentlichter Kurzbericht des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) deutlich. Die Kölner Forscher haben untersucht, wie groß der Anteil der Patentanmeldungen in Deutschland ist, der auf Menschen mit ausländischen Wurzeln zurückgeht. Das Ergebnis: 11,2 Prozent. Ohne die Patente, die von diesen Erfinderinnen und Erfindern angemeldet wurden, wäre die Patentleistung in Deutschland in den vergangenen Jahren insgesamt gesunken.

Es brauche mehr Innovationen, mehr Weltoffenheit und mehr Zuwanderung, so die Forscher

Konkret haben die IW-Forscher ein Modul entwickelt, das die Vornamen aller rund 38 000 Erfinder enthält, die in Deutschland wohnen und zwischen 1994 und 2018 an einer Patentanmeldung mindestens beteiligt waren - sei es beim Deutschen Patent- und Markenamt, beim Europäischen Patentamt oder bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum. Dabei wurde berücksichtigt, ob jemand ein Patent alleine angemeldet hat oder beispielsweise nur als einer von dreien. Die Namen wurden dann 24 Sprachräumen zugeordnet, um die Region zu bestimmen, in der "mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wurzeln der betreffenden Personen liegen", heißt es in dem Papier. Etwa 92 Prozent aller Vornamen ließen sich einem bestimmten Sprachraum zuordnen. Problemfälle waren dabei internationale Vornamen wie Thomas, Christian oder Michael; diese Namen wurden deshalb pauschal mit einem niedrigen Anteil in einer Sonderkategorie berücksichtigt.

Die Daten zeigen, dass der Anteil von Erfindern mit ausländischen Wurzeln an allen in Deutschland entwickelten Patenten kontinuierlich gestiegen ist; von 3,8 Prozent im Jahr 1994 auf 11,2 Prozent im Jahr 2018. Dieser Beitrag sei "unverzichtbar für die Innovationskraft Deutschlands", schreiben die IW-Wissenschaftler. Sie betonen auch, das - in den vergangenen Jahren nur noch geringe - Wachstum bei den Patentanmeldungen aus Deutschland sei "ausschließlich" den Erfindern mit ausländischen Wurzeln zu verdanken; ohne sie wäre die gesamtwirtschaftliche Patentaktivität Deutschlands gesunken. "Nur durch mehr Innovationen und damit Weltoffenheit und Zuwanderung", sagt Oliver Koppel, einer der Autoren der Kurzstudie, "können die Herausforderungen von Digitalisierung, Dekarbonisierung und Gesundheitsschutz gemeistert und gleichzeitig der Wohlstand gesichert werden."

Unter den Erfindern, die in der Auswertung berücksichtigt sind, können sowohl welche sein, die für ein Studium nach Deutschland kamen und anschließend blieben, als auch solche, die schon in zweiter oder dritter Generation im Land leben. Insgesamt sind Migranten unter den Patentanmeldern zwar noch unterrepräsentiert, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil. Sie holten aber stark auf: Laut IW ist der Anteil der Erfinder mit ausländischen Wurzeln stärker gestiegen als der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund insgesamt.

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