Süddeutsche Zeitung

Entlassung aus der U-Haft:Die Vorzüge des Klaus Volkert

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Neue Verteidigungsstrategie des Ex-VW-Betriebsratschefs:Durch die Zahlungen an Prostituierte wäre VW weniger Schaden entstanden als durch lange Streiks.

Hans Leyendecker

Im Sitzungssaal 138 des Braunschweiger Landgerichts wurde am Dienstagnachmittag die Haftbeschwerde des früheren VW-Betriebsratschefs Klaus Volkert verhandelt.

Der in einem Nebentrakt gelegene Saal war gewählt worden, damit dem U-Häftling Volkert neugierige Reporter auf den Fluren erspart bleiben. Das Ergebnis war spektakulär: Die 6. Strafkammer stimmte der Haftbeschwerde des 64-Jährigen zu, Volkert kam aus der U-Haft frei. Es bestehe keine Verdunkelungsgefahr, so das Gericht.

Dennoch bleibt Volkert der Anstiftung zur Untreue in 36 Fällen verdächtig. Der Prozess soll im nächsten Jahr beginnen. Bereits heute zeichnet sich ab, wie die neuen Verteidiger von Volkert, der Hamburger Anwalt Johann Schwenn und der aus Neumünster stammende Anwalt Sascha Böttner, in einer Hauptverhandlung vorgehen wollen: Der Vorwurf der Untreue wird unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) bestritten, andere Beschuldigte und Angeklagte wie der frühere VW-Personalvorstand Peter Hartz müssen mit Attacken rechnen.

Zahlungen hätten Streik verhindert

In drei dem Amts- und dem Landgericht in den vergangenen Tagen zugestellten Schriftsätzen argumentieren Schwenn und Böttner in unterschiedlicher Intensität, VW sei durch die Gaben für Volkert kein Schaden entstanden: "Ein langdauernder Streik oder eine für die Arbeitnehmer günstige und also für das Unternehmen ungünstige Betriebsvereinbarung" würde bei einem solchen Industriekonzern "zu einem weitaus höheren Schaden führen als irgendwelche Zahlungen an Prostituierte".

Selbst mit der "Zahlung bedeutend höherer Summen wäre die Schwelle zur Untreue nicht überschritten worden". Der Konzern habe "davon profitiert", dass Volkert fast jeder Wunsch erfüllt wurde.

Zur Größenordnung des Schadens im Fall Volkert liefert die seit 7. November vorliegende 63 Seiten starke Anklage gegen den früheren VW-Personalvorstand Peter Hartz ein paar Anhaltspunkte.

Die Sicht der Ermittler

Die Ermittler gehen darin davon aus, Hartz habe für die Jahre 1994 bis 2004 auf Drängen von Volkert "sachlich nicht begründete" Sonderbonuszahlungen in Höhe von 1,9466 Millionen Euro gewährt. Außerdem habe Hartz "zum Nachteil von VW" zwischen Oktober 2000 und Oktober 2004 rund 398.000 Euro an eine brasilianische Geliebte von Volkert zahlen lassen und ihr zudem großzügige Spesenzahlungen gewährt.

Volkerts Verteidiger bestreiten, dass ihr Mandant zur Untreue angestiftet hat. Der frühere Betriebsratschef, schreiben sie, "konnte glauben, dass die Zuwendungen seiner Stellung als Betriebsrat galten und deshalb mitnichten privat veranlasst waren". Jedenfalls habe er die Zahlungen nicht veranlasst und verlangt.

Scharf kritisieren die Verteidiger den Umgang der Staatsanwaltschaft mit dem Angeklagten Hartz und dem VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch, der Zeuge in dem Verfahren ist. So hätten es die Ermittler versäumt, bei der Vernehmung von Hartz am 9.Oktober "Nachfragen oder Vorhalte" zu machen. Es falle "das beeindruckende Maß an Rücksichtnahme" auf.

Anhörung mit Samthandschuhen

Dem Zeugen Piëch wiederum sei es bei der Vernehmung im März "auf eine gefällige Außendarstellung seiner selbst angekommen''. Piëch habe sich "zum Führungsprinzip gut organisierter Verantwortungslosigkeit bekannt", als er erklärte, er habe "niemals Geld verteilt, sondern in diesen unangenehmen Fällen (...) an jemand anderen delegiert".

Klar wird jetzt, dass Volkert niemanden schonen will, aber die Strategien für etwaige Hauptverfahren sind kippelig: So finden sich zwar die Namen von Volkert, Piëch oder des VW-Betriebsratschefs Bernd Osterloh in der Zeugenliste der Hartz-Anklage, doch nach derzeitigem Stand wird überhaupt kein Zeuge und auch kein Sachverständiger geladen.

Der Fall ist ausgehandelt, Hartz wird vermutlich eine Bewährungsstrafe erhalten. Im Fall Volkert ist eher wahrscheinlich, dass er nach einer Verurteilung Revision einlegen und vor den BGH ziehen wird.

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Quelle:
SZ vom 13.12.2006
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