Süddeutsche Zeitung

Digitalisierung:Künstliche Insuffizienz

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Die Bundesregierung kommt mit ihrer KI-Strategie nicht voran. Die deutsche Wirtschaft befürchtet, den Anschluss zu verlieren. Es regt sich großer Unmut über die langsame Umsetzung des Konzepts.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

Im Koalitionsvertrag klingt es nach großem Aufbruch: "Insbesondere wollen wir Deutschland zu einem weltweit führenden Standort bei der Erforschung von künstlicher Intelligenz machen", schrieb die schwarz-rote Regierung im März 2018. Und ein konkretes Ziel wird gleich an drei verschiedenen Stellen genannt: "Wir werden gemeinsam mit unseren französischen Partnern ein Zentrum für Künstliche Intelligenz errichten." Das klingt nach einer Vision, nach einem Leuchtturm-Projekt, das man im deutsch-französischen Grenzgebiet besuchen und bestaunen kann.

Das dachte auch die baden-württembergische Landesregierung und überlegte sich, wo und wie man so ein Zentrum aufbauen könnte. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) suchte das Gespräch mit Berlin, doch bislang verliefen alle Anläufe im Sande.

"Die Lage ist höchst alarmierend, ich bin tief beunruhigt."

Der Ärger bei Kretschmann ist groß, er kritisiert die Bundesregierung ungewöhnlich scharf und beständig: "Der Bund kommt einfach nicht in die Gänge bei dieser wichtigen Frage", sagt der 71-Jährige. "Die Lage ist höchst alarmierend, ich bin tief beunruhigt." Der Mittelstand stehe unter "enormem Wettbewerbsdruck", betont Kretschmann, "deshalb ist jeder verlorene Monat ein Problem." Gemeinsam mit seinem bayerischen Amtskollegen Markus Söder hatte er bereits am Wochenende per SZ-Interview den Druck erhöht: "Würden wir in dem Tempo arbeiten, das in Berlin vorgelegt wird", erklärte Kretschmann mit Blick auf das Thema, "wären wir schon lange nicht mehr die Lokomotiven." Auch bei den Unternehmern regt sich Unmut über das zögerliche Vorgehen der Politik: "Alle wissen, dass was passieren muss", sagt Jörg Bienert, Präsident des Bundesverbands Künstliche Intelligenz. "Aber wenn das so weitergeht, dann laufen wir Gefahr, unsere gute Startposition zu verspielen."

Heute, 15 Monate nach Veröffentlichung des Koalitionsvertrags, ist von dem angekündigten deutsch-französischen KI-Zentrum nicht mehr viel übrig: Inzwischen ist nur noch von einem "virtuellen Netzwerk" die Rede, das dies- und jenseits des Rheins geflochten werden soll. Und obwohl das Projekt bereits mächtig abgespeckt wurde, ist völlig offen, wann es losgehen soll. Aus dem Bundesforschungsministerium heißt es vage: "Erste Aktionslinien sind vorbesprochen." Dabei gehe es um "bilaterale Cluster" zu Themen wie Gesundheit, Umwelt, Robotik oder Mobilität. Zudem solle es gemeinsame Ausbildungen und einen Personalaustausch geben.

Ob das reicht, gegen die wachsende Konkurrenz aus USA und China langfristig zu bestehen? Die Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Anna Christmann bezweifelt das: "Insgesamt wird in Asien dreimal so viel in KI investiert wie in Europa, in Nordamerika sogar sechsmal", sagt die Sprecherin der Grünen-Fraktion für Innovations- und Technologiepolitik. Mit dem "Schneckentempo" habe Deutschland bei der "rasant" fortschreitenden Technologie "keine Chance, überhaupt noch mitzugestalten". Künstliche Insuffizienz statt Intelligenz.

Drei Milliarden will der Bund bis 2015 investieren - im Vergleich zu China ist das sehr wenig

Künstliche Intelligenz gilt als Schlüsseltechnologie der Zukunft, sie wird viele Bereiche des Alltags und der Wirtschaft rasant umkrempeln - dieser Prozess ist schon im Gange. In einigen Bereichen der KI gelten USA und China bereits als führend. Nur bei den Themen Robotik und Industrie 4.0 wird der deutschen Maschinenbau-Industrie noch ein Vorsprung eingeräumt. Doch auch diesen sieht Verbandspräsident Bienert "in Gefahr", wenn die Politik nicht umsteuert. Im Dezember hat die Bundesregierung in Nürnberg einen Digitalgipfel veranstaltet und mit viel Drumherum eine sogenannte "KI-Strategie" präsentiert. Mit dieser will der Bund bis 2025 drei Milliarden Euro in KI-Forschung investieren und mindestens 100 Professoren-Stellen schaffen. Das klingt gut, stößt bei Experten aber auch auf Kritik. Drei Milliarden in sechs Jahren seien viel zu wenig - etwa im Vergleich zu China, wo schon einzelne Großstädte mitunter zehn Milliarden investieren. "Diese drei Milliarden sind allenfalls ein gut gemeintes Nasenwasser", sagt Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Sie appelliert an ihre CDU-Parteikollegen in Berlin: "Es muss endlich mehr passieren, wir müssen klotzen und nicht kleckern."

Verbandschef Jörg Bienert fehlt bei der KI-Strategie "der Fokus, die klare Zielsetzung." Derzeit würden zwar erste Förderprogramme aufgesetzt, aber diese seien unter den Ministerien nicht abgestimmt. "Ein Masterplan lässt sich da nicht erkennen", sagt Bienert. Wenn sich das nicht ändere, "dann ist das keine Strategie, sondern ein nettes Ideenpapier."

Im Dezember hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auch die Gründung eines digitalen europäischen Gemeinschaftsunternehmens angeregt. Die Idee: Eine Art "KI-Airbus" unter deutsch-französischer Führung, der mit vereinten Kräften gegen die Konkurrenz aus Asien und Amerika bestehe. Innerhalb eines halben Jahres wolle er diesen Konzern auf den Weg bringen, sprach Altmaier. Dieses halbe Jahr ist nun vorbei. Aber um seine Idee ist es sehr still geworden. Auf Anfrage teilt sein Ministerium mit, man befinde sich "im Dialog" mit Akteuren aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Industrie und IT-Wirtschaft "über die Zielrichtung der Initiative und die Kooperationsbereitschaft". Ob daraus noch was wird? Jörg Bienert ist skeptisch und enttäuscht: "Bei der Erstellung der KI-Strategie hatten wir noch ein großes Momentum", sagt er. Alle Beteiligten seien motiviert gewesen, das Thema voran zu bringen. "Diesen Schwung verlieren wir gerade, und es besteht die Gefahr, dass sich viele frustriert zurückziehen."

Die Aufbruchstimmung aus dem März 2018 hat sich verflüchtigt. Vom "weltweit führenden" KI-Standort Deutschland spricht und schreibt heute niemand mehr.

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Quelle:
SZ vom 18.06.2019
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