Süddeutsche Zeitung

Dieselaffäre:Aufschub für Winterkorn

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VW vertagt seine Entscheidung über die Schadenersatzklage gegen den Ex-Konzernchef. Auch die Staatsanwälte lassen sich Zeit.

Von Klaus Ott, München

Die Oberkontrolleure von Volkswagen hatten es eilig. Kaum hatte die US-Justiz ihre Anklage und den Haftbefehl gegen den früheren Konzernchef Martin Winterkorn veröffentlicht, da tagte auch schon das Präsidium des VW-Aufsichtsrats. Am Freitagabend berieten die Herren in einer Telefonkonferenz, welche Schlüsse aus den Anschuldigungen in Übersee zu ziehen seien. Die amerikanischen Behörden werfen Winterkorn vor, sich in der Abgasaffäre des Betrugs und der Verschwörung schuldig gemacht zu haben. Nach der Telefonkonferenz des von Hans Dieter Pötsch geleiteten Aufsichtsratspräsidiums lautete das nüchterne Ergebnis: Volkswagen prüft weiterhin Schadenersatzansprüche gegen Winterkorn. Bislang gebe es aber "keine Vorfestlegungen, und es wurden auch noch keine Entscheidungen getroffen", erklärte ein Sprecher des Aufsichtsrats am Wochenende. Nichts Neues also bei Volkswagen.

Gleichwohl muss sich der alte Konzernchef, der über die Abgasaffäre stolperte, auf das ein oder andere gefasst machen. Unter anderem auf eine Anklage der Braunschweiger Staatsanwaltschaft, allerdings nicht in nächster Zeit. Und vielleicht auch nicht mehr in diesem Jahr. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam in Braunschweig. Mehrere mit dem Fall befasste Juristen, darunter auch Verteidiger früherer Volkswagen-Manager, gehen dennoch von einer Anklage aus. Zu schwer wiegen inzwischen die Verdachtsmomente, dass Winterkorn spätestens Ende Juli 2015 von manipulierten Schadstoffmessungen bei Dieselfahrzeugen in den USA erfahren habe. Dass er es anschließend aber versäumt habe, für Aufklärung bei den US-Behörden zu sorgen und die eigenen Aktionäre zu unterrichten.

Kenner der Ermittlungsverfahren in Braunschweig halten eine Anklage wegen des Vorwurfs für möglich, Winterkorn habe die Anleger nicht informiert und dadurch den Börsenkurs von Volkswagen manipuliert. Der frühere Vorstandschef hat alle Anschuldigungen wiederholt zurückgewiesen und erklärt, er habe nichts Unrechtes getan. "Ich verstehe nicht, dass ich nicht früher informiert wurde. Vielleicht habe ich Signale übersehen", sagte Winterkorn im Januar 2017 in einem Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Abgasaffäre.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt seit nun schon zweieinhalb Jahren gegen inzwischen mehr als 40 Beschuldigte. Die Verdachtsmomente reichen von Betrug von Dieselkunden über versuchte Strafvereitelung bis hin zur Manipulation des Börsenkurses. Durch die nun bereits zweite Anklage in den Vereinigten Staaten gegen frühere Manager und Mitarbeiter von Volkswagen geraten die Braunschweiger Strafverfolger unter Druck, endlich auch Ergebnisse vorzulegen. Bislang aber gibt es noch nicht einmal eine umfassende Einsicht für die Verteidiger in die Ermittlungsakten. Und selbst danach dürfte es mit einem Abschluss der Verfahren und einer eventuellen Anklage noch Monate dauern.

Volkswagen wiederum wird mit möglichen Schadenersatzforderungen gegen Winterkorn wohl warten, bis klar ist, was die Staatsanwaltschaft herausgefunden hat. Die Affäre hat den Autokonzern bisher mehr als 20 Milliarden Euro gekostet. Sollte VW eines Tages aber den Ex-Chef dafür zur Kasse bitten, bedeutet das noch lange nicht den Ruin des früheren Vorstandsvorsitzenden. In vergleichbaren Verfahren bei anderen Konzernen sind einstige Top-Manager auch nach Schadenersatzzahlungen an ihre vormaligen Arbeitgeber Millionäre geblieben und konnten ihre Häuser oder gar Villen behalten.

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Quelle:
SZ vom 07.05.2018
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