Süddeutsche Zeitung

Deutschland in der Rezession:Globalisierung schlägt zurück

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Die Deutschen sind seit Jahren Exportweltmeister - in der Krise bekommen sie dies bitter zu spüren.

Ulrich Schäfer

Lange waren die Deutschen stolz auf diesen Titel: Weltmeister! Nicht im Fußball, sondern bei den Exporten. Nicht ein Mal, sondern sechs Mal hintereinander. Seit 2003 liefern deutsche Unternehmen mehr Waren und Dienstleistungen in alle Welt als irgendwer sonst. Chinesen, Amerikaner, Franzosen, Briten: Sie alle spielen vorne mit - aber oben auf dem Siegerpodest stand bislang die Bundesrepublik. Die Exportzahlen dienten lange als Beleg dafür, dass keine andere Wirtschaftsnation derart von der Globalisierung profitiert wie die Deutschen.

Nun aber schlägt die Globalisierung zurück. In der größten Wirtschaftskrise seit acht Jahrzehnten wendet sich der große Vorteil der deutschen Unternehmen, ihre starke Stellung auf den internationalen Märkten, in einen Nachteil für das ganze Land. Denn der weltweite Handel mit Waren bricht seit November in einem geradezu atemberaubendem Tempo ein, 2009 wird der Welthandel erstmals seit Jahrzehnten schrumpfen.

Krise scheint weit weg

Alle bekommen dies zu spüren: Die Chinesen, die drauf und dran waren, die Bundesrepublik als Exportweltmeister abzulösen; die Wachstumsstaaten in Osteuropa, deren rasantes Wachstum sich gerade verflüchtigt; und ganz besonders die Deutschen. Im November gingen die Ausfuhren der hiesigen Unternehmen um elf Prozent zurück, im Dezember um weitere vier Prozent. Wenn sich dieser Trend in den ersten Monaten des Jahres fortsetzt (und das ist zu befürchten), dann schrumpft der Welthandel schneller als während der Großen Depression in den 30er Jahren - und dies ohne den irrwitzigen Protektionismus von damals.

Noch merken die meisten Bundesbürger von dieser Entwicklung wenig. Die Krise scheint weit weg zu sein. Die Einkaufsstraßen sind voll, die meisten Händler verkaufen nach wie vor recht ordentlich, und die Zahl der Beschäftigten ist mit gut 40 Millionen höher als jemals zuvor seit der Wiedervereinigung. Doch schon bald wird die Krise ihre tiefe Spuren hinterlassen.

Die Kurzarbeit, die nun in vielen Unternehmen verordnet wird, bei Auto- und Maschinenbauern, in der Chemieindustrie und zuletzt bei Siemens, ist ein erster Vorbote. In ein paar Monaten wird die Welle der großen Entlassungen beginnen. Dann werden Hunderttausende ihren Job verlieren, auch in Unternehmen, die die Krise vor wenigen Monaten noch gar nicht gespürt haben. Losgehen wird es in jenen Branchen, die vor allem vom Export leben. Aber auch der Handel wird irgendwann spüren, dass die Menschen weniger Geld haben.

Kein Konjunkturpaket ist groß genug, um diese Entwicklung zu stoppen. Aber wenn die Regierung nun die Binnennachfrage stärkt, die in den vergangenen Jahren nicht so dynamisch wuchs wie der Export, kann dies Folgen des Abschwungs abmildern. Eines ist daneben schon jetzt klar: Die Krise ist, anders als Bundesfinanzminister Peer Steinbrück im September vorigen Jahres behauptet hat, kein "amerikanischesProblem". Sie ist vor allem auch ein deutsches Problem.

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SZ vom 14.02.2009/hgn
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