Süddeutsche Zeitung

Deutsche Bank:Der Mann, der sich versteckt

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John Cryan ist der neue Chef der Deutschen Bank. In die Öffentlichkeit traut er sich aber auch nach 100 Tagen im Amt nicht.

Von Meike Schreiber, Frankfurt

Auf der Transatlantischen Jahreswirtschaftskonferenz der amerikanischen Handelskammer in Frankfurt geht es alljährlich um die globalen Trends: um die Partnerschaft zwischen den USA und Europa, die Verantwortung von Unternehmen und den weltweiten Wettbewerb. Siemens-Vorstand Siegfried Russwurm diskutiert dort mit BASF-Manager Wayne Smith über den Wettlauf um die Re-Industrialisierung; und Telekom-Vorstand Reinhard Clemens spricht mit Klöckner-Chef Gisbert Rühl über die Digitalisierung.

Siemens, BASF, Telekom: mehr Deutschland-AG geht eigentlich nicht. Ein angemessener Rahmen also für John Cryan, Kontakte zu knüpfen und sich erstmals der Öffentlichkeit zu zeigen. Immerhin ist der Brite der neue Chef der Deutschen Bank und nun gut hundert Tage im Amt. Außerhalb des Instituts aber hat ihn noch kaum jemand zu Gesicht bekommen. Auch aktuelle Fotos gibt es nicht, abgesehen von einem einzigen Exemplar, das die Pressestelle geordnet herausgibt.

Doch was macht Cryan? Er hat den Termin kurzerhand abgesagt, nachdem er noch vergangene Woche als Redner auf der Internetseite aufgeführt war. Für ihn muss nun Aufsichtsratschef Paul Achleitner einspringen und die Tischrede halten. Das Programmheft ist bereits aktualisiert

Das wäre weiter keine Nachricht wert, schließlich ist Cryan nicht angetreten, Tischreden zu halten, sondern die Deutsche Bank zu sanieren. Gut möglich auch, dass es sein Noch-Co-Chef Jürgen Fitschen und Vorgänger Anshu Jain manchmal übertrieben haben mit Interviews und Auftritten. Viel hatten sie angekündet, aber wenig geliefert. Das Vertrauen in den Konzern war zuletzt mehr als zerstört.

"Jetzt geht es nicht mehr um Worte, sondern um Taten", formulierte es Cryan im Sommer in seiner ersten Telefonkonferenz. Und intern macht sich der Chef tatsächlich alles andere als unsichtbar: Er säuberte die Bilanz, tauschte die Führungsmannschaft aus und halbierte ganze Geschäftsbereiche. Konflikte scheut er nicht.

In Sachen Öffentlichkeit aber schlägt das Pendel nun in die andere Richtung aus: Denn wenn Cryan kommende Woche nach hundert Tagen Vorarbeit nicht weniger als die Leitlinien seiner neuen Strategie verkündet, wird auch das nicht im Rahmen der üblichen Pressekonferenz in den Frankfurter Doppeltürmen stattfinden, sondern den Journalisten per Telefonkonferenz dargelegt. Cryan wird zugeschaltet sein aus London, denn dort sitzen die meisten wichtigen Aktionäre, denen er angesichts des desaströsen Börsenkurses den Vorrang geben will vor den Journalisten.

Das Ganze hat den angenehmen Nebeneffekt, dass sich so eine Telefonkonferenz besser kontrollieren lässt als eine Pressekonferenz, auf der Manager - ohne ihre Sprecher als Souffleur - nolens volens auch unbedachte Äußerungen machen, die nicht wie in Interviews zensiert oder geglättet werden können. Nach all den Skandalen, oder gerade wegen der ganzen Skandale - hat sich in der Bank ein Klima der Angst ausgebreitet, etwas falsch zu machen. Fehlerkultur? Fehlanzeige!

Im laufenden Jahr, so hört man aus den Türmen, wird sich Cryan Auftritte wohl sparen. Manch einer im Konzern zieht daraus bereits Schlüsse: Er möge ein prima Sanierer sein, aber ob er auch ein guter Kundenmann und Außenminister sei, sei erst noch zu beweisen.

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Quelle:
SZ vom 22.10.2015
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