Süddeutsche Zeitung

Corona-Schutzausrüstung:Wo bleibt unser Geld?

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Viele Firmen haben in der Corona-Krise auf den Vertrieb von Masken umgestellt - auf Wunsch von Jens Spahn. Jetzt sind sie verärgert.

Von Markus Grill und Lena Kampf , Berlin

Für den Eschborner Unternehmer Canay Yildirimer war der Deal mit dem Bundesministerium zunächst "ein Glücksgeschäft". Eigentlich verkauft der Unternehmer Designerhandtaschen nach Südkorea. Doch mit Beginn der Corona-Krise brachen alle Aufträge weg. Die Ausschreibung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) Ende März kam da gerade recht: Mit einem sogenannten Open-House-Verfahren hatte Minister Spahn dazu aufgerufen, medizinische Schutzausrüstung zu liefern.

Um den eklatanten Mangel zu beheben, hatte das BMG ein Modell gewählt, bei dem der Kunde allen Lieferanten garantiert, ein Produkt zu einem festgelegten Preis liefern zu dürfen. Der Kunde war in diesem Fall das Gesundheitsministerium, das Produkt waren Atemschutzmasken, und der Preis war hoch. Für eine FFP2-Maske garantierte das Gesundheitsministerium zum Beispiel einen Abnahmepreis von 4,50 Euro. Alle geeigneten Unternehmen konnten sich daran beteiligen.

Für Canay Yildirimer eine echte Chance, "in relativ kurzer Zeit planbar, belastbar und zuverlässig Geld zu verdienen". Er reichte ein Angebot über drei Millionen Atemschutzmasken ein, erhielt den Zuschlag. Für seine Geschäftspartner war der Deal mit dem Bund "ein ganz sicheres Ding". Heute ist er sich nicht mehr so sicher: Denn das Geld, brutto 16 Millionen Euro, lässt seit mehr als einer Woche auf sich warten. Momentan prüft Yildirimer stündlich seinen Kontostand. Zwischendurch ruft er immer wieder die Hotline des Ministeriums an, bisher vergeblich.

"Der Hof ist voll"

Wie Yildirimer gingen viele Hunderte Unternehmer mit mehr oder weniger guten Verbindungen zu Zwischenhändlern oder Produzenten in China oder Nachbarländern auf die Bedingungen des BMG ein. Das Ministerium erteilte 738 Zuschläge, 308 Unternehmen lieferten ihre Ware bis Anfang Mai an. Für Jens Spahn war damit der Mangel offenbar behoben. "Der Hof ist voll", sagte er vergangene Woche in einem Interview mit Zeit.

Nach Informationen von SZ, NDR und WDR lagern derzeit in den vom Gesundheitsministerium beauftragten Lagern allein mehr als 130 Millionen medizinische FFP2-Masken. Das ist mehr als der Jahresverbrauch aller Arztpraxen in Deutschland. Die Ware ist bisher aber nicht überall dort angekommen, wo sie gebraucht wird. Laut Ärztevereinigung Marburger Bund verfügen 38 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland immer noch nicht über ausreichend Schutzkleidung.

Der Gesundheitsminister räumt auf Anfrage "logistische Probleme" ein. Die Prüfung der Ware sei außerdem sehr aufwendig. Etwa 20 Prozent der gelieferten Schutzmasken entspreche nicht den hohen Normanforderungen. "Mangelhafte Produkte werden nicht abgenommen und nicht bezahlt", sagt ein Sprecher des Bundesministeriums. Erst zehn Prozent der Lieferanten seien bezahlt worden.

Am Telefon gibt es keine Auskunft - Datenschutz

Yildirimer sagt, er habe Qualitätsware geliefert. Seine drei Millionen Masken sind laut Unterlagen am 4. Mai vom Logistiker des BMG abgeholt worden. Die Investoren drängen, bei denen er mit zehn Millionen Euro in der Schuld steht. Mehr als eine allgemeine Rundmail, dass es zu Verzögerungen bei der Prüfung und der Auszahlung komme, habe er vom BMG nicht bekommen, so Yildirimer. Er telefoniert jeden Tag mit den Beratern von Ernst & Young, die der Bundesminister beauftragt hat. Sie sollen für ordentliche Abläufe sorgen. Doch am Telefon können sie ihm keine Auskunft geben, wegen des Datenschutzes.

Kritik am Management des BMG kommt nicht nur aus der Unternehmer- oder Ärzteschaft. Das Open-House-Modell sei "das völlig falsche und überteuerte Mittel" gewesen, sagt Toni Drescher, Geschäftsführer des Invention-Center an der RWTH Aachen, das in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut Kliniken mit Herstellern von Schutzkleidung zusammenbringt. Das BMG habe die Preise in die Höhe getrieben, sagt Drescher. "Der Bund hat infolgedessen den freien Wettbewerb ausgehebelt und die Beschaffung für Klinken und Pflegeheime zusätzlich erschwert."

Korrektur: In einer vorigen Version dieses Artikels wurde die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH Aachen) fälschlicherweise als TU Aachen bezeichnet. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten ihn zu entschuldigen.

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SZ vom 22.05.2020
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