Süddeutsche Zeitung

Chinas Wirtschaft:Der Kommunismus ist tot, die Diktatur lebt

Lesezeit: 3 min

Chinas Wandel ist spektakulär, die Volksrepublik ist heute die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Erde. Bloß: Im politischen System ist der Wandel ausgeblieben. Das Land ist heute wie damals ein autoritärer Einparteienstaat, der jeglichen Anflug von Opposition unterdrückt.

Kai Strittmatter, Peking

Wandel durch Handel: Im China-Geschäft war der Spruch stets eine Prophezeiung und ein Versprechen. Vor allem aber war er ein Schutzschild, das Politiker und Unternehmer des Westens im Konflikt zu Hause vor sich hertrugen, eine Rechtfertigung dafür, warum man mit einer Diktatur so dick im Geschäft ist. Dem ökonomischen Interesse wurde so ein beruhigender Gemeinnutz unterstellt.

Wandel durch Handel, der Satz ist nicht falsch, so viel lässt sich jetzt, drei Jahrzehnte nach Beginn der Reformpolitik sagen. Chinas Wandel ist spektakulär. Bloß: Es ist so gar nicht der Wandel, der uns ausgemalt wurde. China ist heute die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Erde. Nirgendwo gibt es mehr Handybesitzer, mehr Internetnutzer. Das Erstaunliche ist: Im politischen System ist der Wandel ausgeblieben. China ist heute wie damals ein autoritärer Einparteienstaat mit Strukturen, die ihre Wurzeln im Untergrundkampf der 1930er und 1940er Jahre haben.

Der Kommunismus ist tot

Das soll nicht heißen, dass das Land noch kommunistisch wäre. Nein, der Kommunismus ist tot. Die Diktatur aber lebt. Von Demokratie keine Spur, dafür ein neues, merkwürdiges Ding: ein autoritärer Staatskapitalismus, bei dem Macht und Geld Hand in Hand marschieren. Anders als früher lässt dieser Staat Freiheit im Privaten zu, kombiniert ansonsten aber entfesseltes Profitstreben mit der weiterhin eisernen Unterdrückung eines jeglichen Anflugs von Opposition.

Von einer Unterminierung des Systems durch den Handel und die schleichenden Verlockungen des Kapitalismus ist bislang wenig zu spüren. Im Gegenteil: Jedes Prozent Wachstum hilft im Moment der KP, der die Verwandlung von blindem Kommunismus in blinden Konsumismus gar nicht schnell genug gehen kann: Sie sieht den neuen Wohlstand der Städter als Säule ihrer Macht.

"Größte Müllkippe der Welt"

Man muss das nun nicht in eine beißende Anklage gegen jeden verwandeln, der mit China Geschäfte macht, wie dies der Autor Liao Yiwu in seiner Dankesrede bei der Annahme des Friedenspreises des deutschen Buchhandels gemacht hat. Der Westen hat ein Interesse daran, auch das autoritäre China einzubinden, und nur wenige Geschäftsleute sind geboren, ein John Kamm zu sein, jener US-Unternehmer, der sich für politische Gefangene einsetzt.

Der moralische Furor Liaos ist dennoch nicht ohne Grund. Die toten Flüsse, die verpestete Luft, das vergiftete Essen - dass der Boom China zur "größten Müllkippe der Welt" (Liao) gemacht hat, dass er die Gesellschaft zwar reicher gemacht, sie aber auch in eine existenzielle moralische Krise geführt hat, das kann man in China sogar in KP-nahen Publikationen lesen.

Stumm aber, was die Schattenseiten Chinas angeht, sind die westlichen Unternehmer. Dass die Produktion dort auch deshalb so billig ist, weil die Wirtschaft im Verein mit der Regierung beispiellosen Raubbau an der Umwelt begeht oder weil die Gewerkschaften willfährige Instrumente der Partei sind, wird man von ihnen öffentlich kaum hören. Ebenso wenig Geschichten über die grassierende Korruption.

Devote Haltung

Anschaulich zu besichtigen war die devote Haltung bei dem Besuch Angela Merkels bei ihrem Amtskollegen Wen Jiabao im August. Selbst nach ausdrücklicher Bitte von Wen und Merkel, die anwesenden Unternehmer möchten doch ihre Probleme vortragen, fand Wortführer Siemens-Chef Peter Löscher lediglich Dankesworte für den Gastgeber, das Abtauchen der Topmanager irritierte sogar Premier Wen. Erstaunlich oft gehen westliche Manager noch einen Schritt weiter und ergehen sich in bizarrer Bewunderung für Chinas Führer.

Wandel durch Handel? Es wäre schon viel, wenn die Unternehmer in China die Augen aufmachten und genau hinsähen, was um sie herum geschieht. Wenn sie die Werte der Demokratien nicht verleugneten, denen sie ihren Aufstieg zu verdanken haben. Wenn sie alle ihrer Verantwortung nachkämen, wenn also zum Beispiel Apple bei seinen Zulieferern weder Arbeiterschinderei noch Kinderarbeit und wenn Zara, Esprit, C&A und 46 weitere Firmen bei ihren Zulieferern nicht die Vergiftung der Umwelt zulassen würden, die NGOs letzte Woche dokumentierten.

Letztlich müssen wir uns alle an die eigene Nase fassen: Wir Konsumenten nehmen die Missstände in Kauf, wenn wir von Jahr zu Jahr weniger bezahlen wollen für unser T-Shirt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1501453
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.10.2012
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.