Süddeutsche Zeitung

Bosch:Auf der grünen Wiese

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Bosch baut sich eine Uni, die sich mit berühmten Bildungsstätten in den USA messen will. Das interessiert auch die Kanzlerin.

Von Max Hägler, Stuttgart

Bescheiden sind sie jetzt nicht mehr bei Bosch. Wahrscheinlich, weil es einfach zu groß ist, was der schwäbische Technikkonzern in nur drei Jahren in Renningen hochgezogen hat, eine halbe Autostunde von Stuttgarts Innenstadt entfernt: Ein zwölfstöckiges Hochhaus, drum herum ein Dutzend weitere große Gebäude, in der Mitte ein kleiner See. Hier schlägt künftig das Herz der Forschung und Entwicklung eines der Technikkonzerns, der seit der vollständigen Übernahme der Hausgeräte-Sparte endgültig auf Augenhöhe mit Siemens ist - auch wenn die Schwaben nicht im Dax notiert sind. Wobei Herz vielleicht eine zu gefühlige Beschreibung ist; die von der Naturwissenschaft geprägten Schwaben denken eher in anderen Kategorien: Das sei "mehr als eine kleine Universität, das ist das Stanford von Bosch", sagt Unternehmenschef Volkmar Denner, als er den Forschungscampus am Mittwoch eröffnet. Stanford, das ist eine US-Spitzenuni, ein Vorbild, ja eine Pilgerstätte für Forscher und Entwickler aus aller Welt. Und so etwas, so glauben sie bei Bosch, haben sie nun auch im Schwäbischen begründet.

Eine Abteilung für Massenspektrometrie, eine Testbahn für Roboterfahrzeuge, Großrechner - Technikfans dürfte beeindrucken, was der Konzern aufgebaut hat, der zu etwa zwei Dritteln sein Geschäft mit Autoteilen macht. Wobei Autoteile banaler klingt, als es ist: Viele der technischen Spielereien, die in den autonom fahrenden Autos zu finden sind, die Google, BMW oder Daimler herumfahren lassen, haben die Ingenieure des Unternehmens mit weltweit 360 000 Mitarbeitern erdacht. Genauso übrigens wie die Sensoren, die den Handybildschirm senkrecht oder waagrecht ausrichten - eine Weiterentwicklung der Autotechnik ESP, die das Schleudern und Kippen von Fahrzeugen verhindern soll.

Hinter vielen Dingen, die im Alltag benutzt werden, steckt jedenfalls mehr als die Leistung des Markennamens auf dem Gehäuse, viele sogenannte Zulieferer machen die Arbeit, oft ist es Bosch. Und wahrscheinlich auch deswegen ist zu dieser Eröffnung der Firmenuni die oberste Physikerin des Landes gekommen: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nichts ist an diesem Mittwochmittag zu spüren von den Querelen um ihre Flüchtlingspolitik, vom Streit in ihrer Unionsfraktion in Berlin; stattdessen stehen viele der 1200 Ingenieure und der 500 Doktoranden und Praktikanten an den Fenstern und klatschen, als sie sich mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann bei einem Rundgang den Campus zeigen lässt, den Agrarroboter "Bonirob" etwa, der etwa die farbigsten Blumen auf einem Feld identifizieren kann - und zugleich Unkraut jätet.

Im Jahr 2013 wurden in Deutschland 80 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung gesteckt und Merkel erinnerte bei ihrem Campus-Besuch daran, dass zwei Drittel davon durch die Wirtschaft erbracht werden. Die Tatsache, dass Bosch als eines der größten privatwirtschaftlichen Forschungsunternehmen seinen Zentralcampus in der Heimat angesiedelt hat, das sei "ein Bekenntnis zu Deutschland".

Die Forscher können basteln und löten - oder auch in der Sporthalle kicken

Gut 300 Millionen Euro hat das Ganze gekostet samt Einrichtung und vereint die schwäbischen Tüftler, die zuletzt an drei Standorten verteilt waren und die mit Bosch-Forschungsstandorten in Indien oder Kalifornien kooperieren, genauso wie mit Dutzenden Hochschulen - vom echten Stanford über die Max-Planck-Gesellschaft bis zur Uni Stuttgart. Ein Ort der Ruhe, des Arbeitens und auch der Kommunikation soll der Campus sein, sagt Denner und stolz verweist er auf die Plattform 12, ganz oben in dem Hochhaus, in dem Lötkolben, Drähte, Werkbänke und Tafeln bereitstehen: Die Kopfarbeiter sollen mit den Händen gestalten, kreativ werden, Freiheit erleben - und dabei neue Idee entwickeln, über die Grenzen des eigenen Fachbereiche hinweg. Wer nicht kreativ Herumlöten mag, der kann gegebenenfalls auch in die Sporthalle gehen, zum Kicken. "Das Neue", erklärt Denner, "erreicht einen dann, wenn man es nicht erwartet." Er muss es wissen, ist der Physiker doch nicht nur Bosch-Chef, sondern auch offiziell oberster Entwickler des Konzerns.

Wobei eines freilich kurios anmutet: Der Standort. So schick er ist, so abgelegen ist er, fern von Cafés und Straßenleben, fern von dem, was sonst eben für Inspiration und Kreativität steht. Aber Ingenieure und Techniker hätten da andere Ansprüche, sagen sie bei Bosch, denen seien ihre Labore wichtig. Also hat Bosch buchstäblich auf der grünen Wiese gebaut, auf einem Flugfeld, auf dem die Bundeswehr immer noch Fallschirmspringer landen lässt. Direkt dahinter beginnt ein Forst mit Wanderwegen. Und von ganz oben, von der Bastel-Etage aus, sieht man in der Ferne ganz klein das Bosch-Hauptquartier, die Schillerhöhe. Die ist übrigens auch naturnah gelegen: mitten im Wald.

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Quelle:
SZ vom 15.10.2015
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