Süddeutsche Zeitung

Bargeld:Finger weg

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Deutsche Aktivisten wehren sich gegen ein drohendes Bargeldverbot. Sie sehen einen schleichenden Prozess. Nur: Wie real ist die Gefahr überhaupt? Eine Spurensuche.

Von Markus Zydra

Der Rebell kommt mit dem Traktor zum Bahnhof. Max Otte, 51, gibt vergnügt den Landwirt. Er ist sichtlich stolz auf den grünen Deutz, Baujahr 1956. Es ist heiß in Blankenheimerdorf. 500 Menschen leben dort. Die Millionenstadt Köln ist eine Zugstunde entfernt. Der Finanzprofessor Otte hat zwar an der amerikanischen Elite-Universität Princeton promoviert - hier, in der Einsamkeit der Eifel aber, sortiert er seine Gedanken. "Die letzte Kneipe", ruft Otte gegen den Motorenlärm vom Fahrersitz und zeigt auf das verlassene Gebäude, "sie hat jetzt auch dichtgemacht."

Im Jahr 2006 warnte Otte vor einer globalen Finanzkrise. Diese Prognose machte ihn berühmt. Jetzt treibt ihn ein anderes Thema um. Otte parkt den Traktor direkt vor dem Eingang der örtlichen Bäckerei und bezahlt die belegten Brötchen mit einem Zehn-Euro-Schein. Er sagt: "Das Bargeld ist in Gefahr."

Für seinen Geschmack ist in diesem Jahr zu viel passiert, als dass man die Ereignisse als Zufall deklarieren könnte. So bezeichnete Deutsche Bank-Chef John Cryan beim Weltwirtschaftsforum in Davos das Bargeld als "ineffizient und teuer". Es helfe nur Geldwäschern und Kriminellen und werde wohl "in den nächsten zehn Jahren verschwinden". Einflussreiche Teile der amerikanischen Akademiker-Elite hatten sich bereits zuvor starkgemacht für eine Abschaffung des Bargelds. Im Frühjahr beschloss die EZB, den 500-Euro-Schein aus dem Verkehr zu ziehen. Die Bundesregierung plant darüber hinaus, eine Obergrenze für Bargeldzahlungen in Höhe von 5000 Euro einzuführen.

"Es läuft viel sanfter ab als zu Stasi-Zeiten. Es reicht heute, wenn man Dinge verschweigt"

Plötzlich war sie da, die Furcht: Wird den Deutschen nach der D-Mark nun auch noch das Bargeld genommen?

Die Panik vieler Bürger zwang Politiker und Zentralbanker in die Defensive. Sie beteuern: Niemand hat die Absicht, das Bargeld abzuschaffen. Ist die Gefahr vorbei? War sie überhaupt jemals real? Otte seufzt am Küchentisch, ein Brötchen in der Hand. Er wohnt im alten Pfarrhaus neben der Kirche. Der Friedhof liegt in Sichtweite. Er sagt: "Das Bargeldverbot ist zur Hälfte umgesetzt."

Aber wo und wie? Man merkt doch gar nichts? "Stimmt", sagt Otte. "Es läuft viel sanfter ab als zu Stasi-Zeiten. Es reicht heute, wenn man Dinge verschweigt und erschwert." Eine Verschwörung? Otte schüttelt den Kopf. Er hasst den Begriff. "Nein, keine Verschwörung. So läuft das nicht. Die Leute, die die Macht dazu haben, setzen ihre Interessen durch."

Otte hat Mitstreiter. Man konnte sie am letzten Samstag in der Frankfurter Innenstadt treffen. Es war sengend heiß. Eigentlich Freibadwetter. Zudem hatte Hessen noch Schulferien. Dennoch verteilten 40 Aktivisten am Nachmittag in der Fußgängerzone an der Hauptwache Flugblätter. Die Initiative stop-bargeldverbot.de, die zusammen mit der Volkspetition Bargeldverbot stoppen bisher 160 000 Unterschriften sammeln konnte, und der Verein Pro Bargeld haben eine Mission. "Finger weg vom Bargeld" steht auf einem Flyer.

An einem Stehtisch diskutiert Thorsten Schulte, 43, mit Passanten. Er hat schwarze, kurze Haare, trägt ein weißes T-Shirt und kurze Hose. Hauptberuflich gibt der frühere Investmentbanker ein kostenpflichtiges Silber-Bulletin mit Tipps zu Edelmetallen heraus. Er sagt: "Das Bargeld wird langsam marginalisiert. Die großen Scheine wird man aus dem Verkehr ziehen und nur noch die kleinen Scheine behalten." Mag sein, doch wo liegt da die Gefahr für die Bürger? "Wenn man fast alles mit Karte bezahlt, ist die Privatsphäre weg. Die Einkäufe können nachverfolgt werden. Ich möchte nicht, dass der Staat alles weiß", sagt Schulte.

In Schweden, so steht auf dem Flugblatt, sei das Bargeld schon sehr weit zurückgedrängt. Banken verweigerten manchmal Barauszahlungen, weil die Scheine fehlen. In manchen Kirchen wurde der Klingelbeutel durch ein Kartenlesegerät ersetzt. Schulte sagt: "Es ist dennoch schwer, der Bevölkerung die Gefahren vor Augen zu führen."

Bargeld schützt vor Kontrolle. Es gibt Dinge, die gönnt man sich und bezahlt sie lieber mit Scheinen. Das muss überhaupt nichts Illegales sein. Jeder Bürger besitzt Bargeld. Münzen in der Tasche, Banknoten in der Geldbörse. Nachschub gibt es an jedem Bankautomaten. Manche Restaurants, etwa in Frankfurt, bestehen sogar auf Barzahlung. Die Sorgen der Aktivisten wirken in dieser Hinsicht ein wenig hysterisch. Man muss sich ein wenig auf das Thema einlassen, um zu erahnen, was die Protestler umtreibt.

Man könnte beispielsweise eines schönen Tages bei der Hausbank reinschneien und versuchen, sofort 15 000 Euro vom eigenen Girokonto abzuheben, vorausgesetzt natürlich, man gehört zu den Privilegierten, die diesen Betrag ihr eigen nennen können. Man muss wissen: Kunden haben das Recht, jederzeit und umgehend ihr Geld vom Girokonto in bar abzuheben. Es gehört ihnen ja. Sie haben der Bank nur einen Kredit eingeräumt.

In aller Regel wird die Bank aber sagen, dass es bis zu drei Werktage dauern kann, bis man sein Geld in Händen hält. Warum braucht eine Milliarden-Bank drei Tage, um 15 000 Euro in bar auszuzahlen?

Noch vor 20 Jahren hätte die Bank bestimmt anders reagiert und alles getan, um den Wunsch des Kunden sofort zu erfüllen. Es ging um den guten Ruf: Wie steht die Bank da, wenn sie das ihr anvertraute Geld nicht prompt auszahlen kann?

Doch die Zeiten haben sich geändert. Es gibt strenge Regeln zum Schutz vor Geldwäsche. Banken schauen genau hin, sie müssen das tun. Es liegt daher nicht selten ein Verdacht in der Luft, wenn man viel Bargeld bei sich trägt. Dieser Wandel in der Wahrnehmung hat sich auch in der deutschen Sprache eingenistet. Wer sein Geld auf der Bank hat, der spart. Wer sein Geld zu Hause unter der Matratze lagert, der bunkert. Doch bei Null- und Negativzinsen kann man genauso gut zu Hause sparen.

Der Buchautor Norbert Häring hat den Selbstversuch mit den 15 000 Euro gemacht und darüber geschrieben. "Es haben vor allem die kleinen Leute ihre Ersparnisse als Bankguthaben, sie werden mit Negativzinsen geschröpft", schreibt er in seinem Buch " Die Abschaffung des Bargelds und ihre Folgen". Profitieren würden andere: "Diejenigen mit sehr viel Geld haben es in direkten Unternehmensbeteiligungen, vermieteten Immobilien und Aktien angelegt. Sie profitieren, denn Negativzinsen treiben die Kurse nach oben," so Häring. In Italien, Spanien, Portugal und anderen EU-Staaten gibt es bereits Bargeldobergrenzen. Mal sind es 1000 Euro, mal 3000 Euro. Ab dieser Schwelle ist es verboten, mit Bargeld zu bezahlen. Das bedeutet: EU-Staaten stellen es ab einem bestimmten Betrag unter Strafe, mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel zu bezahlen. Auch dieser Umstand schürt das Misstrauen der Bargeld-Verteidiger.

In der amerikanischen Stadt Jackson Hole haben sich am vergangenen Wochenende die wichtigsten Notenbanker der Welt getroffen. Ein Thema war die Abschaffung des Bargelds. Es war nicht das erste Mal, dass die Währungshüter über das sensible Sujet diskutierten. Der Grund: Die Weltwirtschaft wächst zu wenig.

Die meisten Industriestaaten haben zu hohe Schulden, als dass sie Steuergeld in Infrastruktur und Wachstum stecken könnten. Daher sind jetzt die privaten Sparvermögen der Bürger im Visier der Notenbanker. Wenn man das Bargeld abschaffen würde, so das Argument, könnte man die Menschen praktisch zwingen, ihr Geld auszugeben, um die Wirtschaft anzukurbeln. Man müsste den Strafzins auf die Guthaben nur stark hochsetzen. Bislang klappt das nicht. Bürger würden ihr Geld einfach in bar abheben.

"Bargeld gehört zum Eigentum", sagt Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier

Kenneth Rogoff, Harvard-Professor und ehemaliger Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, propagiert seit 2014 die Abschaffung des Bargelds. Der Wissenschaftler ist politisch sehr einflussreich. In einem aktuellen Editorial für das Wall Street Journal plädiert er für eine Abschaffung der 100-Dollar-Banknote.

Terror, Kriminalität, Steuerflucht, illegale Einwanderung und Schwarzarbeit könne man so eindämmen. Aber nicht nur das. Barzahlungen in Geschäften sollten beschränkt und Barabhebungen verteuert werden. "Zentralbanken hätten dann alle Freiheit, um in einer schlimmen Rezession den Strafzins so hoch wie nötig zu setzen".

Die Währungshüter als Sargnagel des Bargelds? Natürlich ist es noch lange nicht so weit. Eine komplette Abschaffung des Bargelds in der EU könnte nur durch eine Vertragsänderung durchgesetzt werden. Alle Parlamente der 28 Mitgliedsstaaten müssten dem zustimmen, wobei offen ist, ob das mit der Verfassung vereinbar wäre. Schon die Einführung einer Obergrenze für Barzahlungen ist juristisch umstritten. "Bargeld gehört zum Eigentum", sagt der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier. Der Gesetzgeber solle sich bei der Bewertung von Obergrenzen "von vorschnellen und vagen Annahmen nicht leiten lassen." Es sei auch "nicht ersichtlich, wie der Staat die Einhaltung solcher Obergrenzen wirksam kontrollieren und durchsetzen könnte".

Max Otte steht neben dem Traktor. Er bezahlt manchmal mit EC- oder Kreditkarte. "Wenn es nicht anders geht. Ich möchte die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, wann ich elektronisch, und wann ich bar bezahle."

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SZ vom 03.09.2016
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