Süddeutsche Zeitung

Lobbypolitik:NGO-Bündnis fordert Ende der Auto-"Klüngelei"

Lesezeit: 2 Min.

Lobbycontrol und weitere Nichtregierungsorganisationen wollen einen radikalen Neustart der Beziehungen zwischen Politik und Autoindustrie. Helfen sollen gesetzliche Transparenzregeln - und neue Beteiligungsformate.

Von Markus Balser, Berlin

Für einen Verkehrsminister gibt es gute Gründe, mit möglichst vielen Seiten zu sprechen. Der Verkehrssektor muss seinen Beitrag zu mehr Klimaschutz leisten: Fahrverbote wegen schlechter Luft in Städten, Tempolimit oder die Debatte um ein Verbot von Kurzstreckenflügen - es gilt hier wie in nur wenigen anderen Ministerien, Umwelt- und Wirtschaftsinteressen auszutarieren. Doch Ex-Minister Andreas Scheuer (CSU) setzte klare Prioritäten. 80:1 stand es bei Lobbytreffen von Amtsantritt bis Juni dieses Jahres zwischen Autoindustrie und Umweltverbänden. Bei Autogipfeln waren Umweltgruppen sogar nie an Bord.

Zum Start der neuen Bundesregierung fordert nun ein prominentes NGO-Bündnis von Kanzler Olaf Scholz (SPD), Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine Vollbremsung bei derartigen Lobbyrunden. In einem offenen Brief an die Ampel-Politiker, welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt, drängt Lobbycontrol gemeinsam mit abgeordnetenwatch.de, Mehr Demokratie e. V. und Transparency Deutschland auf einen radikalen Neustart der Beziehungen zwischen Politik und Automobilwirtschaft, mehr Lobbytransparenz und neue Beteiligungsverfahren. "Beenden Sie privilegierte Zugänge für die Autoindustrie", fordern die Absender eindringlich.

NGOs warnen vor "Klüngelei" zwischen Politikern und Autoindustrie

Das im Koalitionsvertrag angedeutete Aus der Autogipfel in ihrer bisherigen Form sehen die Absender dabei nur als ersten Schritt. In dem Papier hatten SPD, Grüne und FDP angekündigt, die bisherigen Gipfelformate zu verändern. Man wolle die bestehenden Kooperations- und Dialogformate im Bereich Automobilwirtschaft in einer Strategieplattform "Transformation Automobilwirtschaft" bündeln, heißt es dort - mit Mobilitätswirtschaft, Umwelt- und Verkehrsverbänden, Sozialpartnern, Wissenschaft, Bundestag, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden sowie den zuständigen Bundesressorts. Ziel sei es, sowohl die Klimaneutralität zu erreichen als auch "Wertschöpfung sowie Arbeits- und Ausbildungsplätze zu sichern".

Offenbar haben die NGOs jedoch Zweifel, dass am Ende wirklich mehr Mitsprache für alle steht. Die vier Organisationen seien "besorgt, dass die neue Bundesregierung der Autoindustrie weiterhin privilegierte Zugänge gewährt", heißt es in dem Papier. Der einseitige Austausch mit der Autolobby führe zu "unausgewogenen Entscheidungen und behindert gemeinwohlorientierte Politik", warnt Christina Deckwirth, Autolobby-Expertin von Lobbycontrol. "Immer wieder haben Konzernchefs und ihre Lobbyist:innen die notwendige Transformation der Autoindustrie aufgehalten, um klimaschädliche Geschäftsmodelle zu erhalten." Die "Klüngelei" habe auch das "Vertrauen in die Bundesregierung massiv beschädigt", sagt Deckwirth.

Die NGOs fordern in ihrem Papier ein radikaleres Umdenken. Die neue Strategieplattform "darf weder personell noch thematisch einseitig den Interessen der Automobilwirtschaft entsprechen", heißt es dort weiter. "Andere Interessengruppen müssen ausreichend vertreten sein und dürfen keine Feigenblattfunktion übernehmen." Um den Wandel auch zu belegen, müssten die Minister gesetzliche Regelungen zur Offenlegung von Lobbytreffen unterstützen und "Kontakte mit InteressenvertreterInnen" selbst offenlegen.

Seit 2019 fanden regelmäßig Autogipfel im Kanzleramt statt

Auch ihre Ministerien und nachgeordneten Behörden müssten darauf achten, Organisationen mit Expertise einzuladen - nicht nur die mit Finanzkraft und Lobbybüros in Berlin. "Sorgen Sie für ausgewogene Kontakte", fordern die NGOs. Um verkehrspolitische Herausforderungen und Konflikte angemessen zu bearbeiten und Akzeptanz für eine Transformation der Autoindustrie und des Verkehrssektors zu schaffen, sei umfassende Mitsprache nötig.

Die große Koalition war wegen der Nähe zur Autoindustrie in den vergangenen Jahren mehrfach in die Kritik geraten. Unter dem Titel "Konzertierte Aktion Mobilität" fanden seit 2019 regelmäßig Autogipfel im Kanzleramt statt. Teilgenommen haben neben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Scheuer auch andere Politikerinnen und Politiker, Manager der großen Autokonzerne, der Lobbyverband VDA, die IG Metall sowie teilweise auch Zulieferunternehmen und Betriebsräte aus Unternehmen der Branche. Umwelt-, Verbraucher- und andere Verkehrsverbände wie Fahrradclubs oder neutrale Denkfabriken für Mobilität waren jedoch von den einflussreichen Treffen weitgehend ausgeschlossen.

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