Süddeutsche Zeitung

Augsteins Welt:Gepanschter Eintopf

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Das Duale System gehört zu den Fundamenten, auf denen die deutsche Wirtschaftskraft basiert. Aber allzu viele Köche verderben den Brei. Das gilt auch hier.

Von Franziska Augstein

Die meisten Deutschen lieben Fußball, Wurst und das duale System. Als an dieser Stelle vor einigen Wochen ein Vorschlag erschien, die neue Bundesregierung möge sich der Verbesserung des dualen Systems annehmen, hat die Redaktion etliche Kommentare in Empfang nehmen können. Wir, dankbar für die Zuschriften, sind also am Ball geblieben, haben beide Enden der Wurst betrachtet und vor allem das duale System.

Hilfreich bei Letzterem ist der Bremer Bildungsforscher Felix Rauner. Am 18. April erschien sein programmatisches Buch zur Thematik: "Der Weg aus der Akademisierungsfalle. Die Architektur paralleler Bildungswege" (Lit-Verlag, 162 Seiten, 24, 80 Euro). Rauner hatte einen Realschulabschluss, eine Ausbildung als Elektrotechniker und konnte dann - die Bildungspolitik der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt machte es möglich - ein Hochschulstudium absolvieren. Was den sogenannten zweiten Bildungsweg angeht, kennt er sich aus. Seine Loyalität gilt allen, die nicht mit einem silbernen Löffel im Mund zur Welt gekommen sind.

Vor Kurzem schreckte eine Nachricht auf und wurde zum Aufmacher etlicher Zeitungen: "Jeder vierte Lehrling wirft hin", titelte die Süddeutsche Zeitung, "die Abbrecherquote ist so hoch wie seit Anfang der 90er-Jahre nicht mehr." Davon alarmiert, wurde Herr Rauner telefonisch aufgetrieben: Was gehe da vor sich? Er wiegelte ab und meinte, da sei "ungenau berichtet" worden. Das Bremer Institut für Technik und Bildung, dem Rauner vorstand, hat in der Leipziger Region und in NordrheinWestfalen dazu zwei Studien durchgeführt. Wirklich hohe Abbrecherquoten, sagt Rauner, gebe es unter den ungefähr 340 gängigen Berufen nur bei etwa einem knappen Dutzend, vorneweg die Gastronomie. Wer sich Sorgen um Abbrecherquoten mache, solle lieber gen Hochschulen schauen als in Richtung Lehrberufe.

Dann stehen die Dinge doch recht gut, oder etwa nicht? Nein, es ist nicht alles gut. Das erläutert Rauner in seinem Buch. Alle preisen das duale System, das Bildung mit Arbeitspraxis verbindet. Aber wie das duale System ausgestaltet wird, ist Ländersache. Ach, wenn es das nur wäre. Tatsächlich reden noch viel mehr Institutionen mit. Die Länder steuern den schulischen Teil der Ausbildung, das Bundeswirtschafts- und das Bildungsministerium sind für den betrieblichen Teil zuständig. Hinzu kommt der Einfluss von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften. Sie alle haben ein Wort bei der Planung. Das Ganze ist unkoordiniert und ergibt organisatorisch einen gepanschten Eintopf, den Gastronomie-Lehrlinge so nicht servieren wollen würden.

Besonders hinderlich, so Rauner, sei der Umstand, dass an Universitäten duale Studiengänge eingerichtet wurden, "die parallel zur dualen Berufsausbildung organisiert sind". Weil die Hochschulen nur ihre wissenschaftliche Ausbildung steuern können, hat diese in aller Regel nichts zu tun mit den praktischen Erfahrungen, die junge Leute in Betrieben sammeln, denn dafür sind die Kammern und die Unternehmen zuständig. "Der praktische Teil der dualen Berufsausbildung an Hochschulen", so Rauner, "passt nicht ins Hochschulrecht." Die von Universitäten betriebene duale Berufsausbildung mache der normalen dualen Berufsausbildung sinnlos Konkurrenz. Damit einher geht, dass es an sich dezidiert nicht Aufgabe der Universitäten ist, Leute auf einen Beruf vorzubereiten. Universitäten sollten der Wissenschaft dienen - deshalb wurden sie eingerichtet.

Wer eine Ausbildung in einem Betrieb und an der Uni angeht, muss vor allem belastbar sein

Wer sich bei der dualen Berufsausbildung einer deutschen Universität anvertraut, hat es mit zwei komplett unterschiedlichen Feldern zu tun: Theorie, die ganz fern ist von der Berufspraxis; und praktisches Lernen, das neben dem Studium zu bewältigen ist. Im Ergebnis, so Rauner, führe dieses dazu, dass deutsche Unternehmen solche Bewerber gern einstellen, die beides bewältigen konnten. Das zeige nämlich eines: Die junge Frau und der junge Mann sind auf jeden Fall belastbar. Nichts gegen ein fachbezogenes Universitätsstudium, aber ist das nicht etwas wenig, könnte die Lehre nicht besser organisiert werden?

Der "Akademisierungsfalle", wie Rauner es nennt, ist die Schweiz entronnen. Ausgerechnet die Schweiz, wo man auf föderale Eigenheiten noch viel mehr Wert legt als in der Bundesrepublik. Nachdem alle Kantone ihre diesbezüglichen regionalen Rechte an den Bund abgegeben hatten, wurde 2005 ein neues Berufsbildungsgesetz beschlossen. Die Kantone gingen dabei nicht leer aus: Ihre Zuständigkeiten in Sachen Ausbildungsordnung wurden ausgeweitet. Aber die strategische Steuerung aller Berufsgänge liegt beim Bund. Seither ist die duale Berufsausbildung eine notwendige Voraussetzung für ein Fachhochschulstudium. Egal, von welcher Schulrichtung Auszubildende kommen, sei es ein beruflich fokussiertes Abitur, sei es eine fundierte Lehre: Sie haben Zugang zu einem Hochschulstudium.

Siebzig Prozent aller Schweizer Schüler entscheiden sich mittlerweile für eine duale Berufsausbildung. Mögen die Schweizer auch weiterhin ihre Berge wie Emmentaler Käse mit Tunneln durchlöchern, auf Experten aus dem Ausland werden sie dabei wohl nicht angewiesen sein.

In diese Richtung, durch den Tunnel des Kompetenz-Wirrwarrs hindurch, weist Felix Rauners Buch. Deutschland, groß und wichtig, wie es ist, kann vom kleinen Nachbarn eine ganze Menge lernen: Es brauche, sagt Rauner, ein neues Bildungsgesetz und dann zwei Sorten Hochschulen. Einige sollten der Wissenschaft gewidmet sein, die sich mit Grundlagenforschung und Geisteswissenschaften befassen. Andere sollten der Ausbildung all jener Fachkräfte dienen, die so dringend benötigt werden.

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SZ vom 20.04.2018
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