Süddeutsche Zeitung

Atomkraft:Bundesverfassungsgericht fährt dem Bund in die Parade

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Karlsruhe hat die Brennelementesteuer für ungültig erklärt. Die Atomkonzerne bekommen jetzt viel Geld zurück. Ärgerlich ist das Urteil aber aus einem anderen Grund.

Kommentar von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Ihre Klagen zum Atomausstieg waren nicht sonderlich erfolgreich, aber jetzt haben die Kernkraftwerksbetreiber doch noch in Karlsruhe gewonnen. Bei der Brennelementesteuer können sie mit mehreren Milliarden an Erstattung rechnen. Der Eon-Konzern kalkuliert bereits mit 2,85 Milliarden Euro, zudem können sich die Energieversorger über satte Kurssprünge freuen. Dafür klafft nun in der Finanzplanung des Bundes ein stattliches Loch, denn die Atomsteuer ist nichtig.

Das allein wäre noch kein Grund, die Entscheidung falsch zu finden. Wer Steuern schafft, ohne zuständig zu sein, der muss das Geld halt zurückzahlen, ob man die Kraftwerksbetreiber nun mag oder nicht. Nein, ärgerlich ist der überraschende Beschluss aus Karlsruhe aus einem anderen Grund. Das Verfassungsgericht nimmt den Gesetzgeber ohne nachvollziehbaren Grund an die kurze Leine.

Damit der Bund zuständig war, klebte man das Label "Verbrauchsteuer" drauf

Schon das Timing ist nicht besonders glücklich. Das Verfahren ist mehr als vier Jahre alt, dennoch gelang es den Richtern nicht, ihre Milliardenentscheidung vor der Einigung von 2016 zwischen Bundesregierung und AKW-Betreibern über die Finanzierung des Atomausstiegs vorzulegen. Dabei wäre der Karlsruher Rückzahlungsbescheid eine relevante Größe gewesen.

Schlägt man nun im Grundgesetz nach, wer eigentlich für den Erlass einer "Kernbrennstoffsteuer" zuständig ist, findet man natürlich nichts. Gesetzgebungskompetenz bestimmt sich nach Steuertypen, und welche Art von Abgaben zu welchem Typus gehört, müssen Richter herausfinden - aber auch der Gesetzgeber selbst. Die schwarz-gelbe Koalition hatte die Steuer seinerzeit mit dem Geschenk der später wieder einkassierten Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke verknüpft und damit - zugegebenermaßen - ein merkwürdiges Konstrukt geschaffen: Damit der Bund zuständig war, klebte man das Label "Verbrauchsteuer" drauf, das man sonst eher von Tee oder Tabak kennt.

Steuergesetze mit Blick auf die Zuständigkeit passend zu machen, ist freilich kein Frevel, sondern Teil des politischen Geschäfts. Das Bundesverfassungsgericht selbst hatte sich im Urteil zur Ökosteuer von 2004 in dieser Hinsicht durchaus großzügig gezeigt und den Begriff Verbrauchsteuern keineswegs eng verstanden. Das Grundgesetz ist eben kein Schubladenkasten aus den immergleichen Fächern, sondern ein flexibles Instrument.

Es hätte gute Gründe dafür gegeben, diese Linie der Großzügigkeit fortzuschreiben. Gewiss, die Finanzverfassung ist immer auch ein Schutzsystem zugunsten des Steuerzahlers, wachsame Richter sind hier nötig. Das hat das Gericht - völlig zu Recht - immer dann betont, wenn es um versteckte Abgaben ging, notdürftig als Gebühr drapiert, in Wahrheit aber nur als Abzocke gedacht.

Bei Steuern aber agiert der Gesetzgeber mit offenem Visier. Wem Steuern nicht passen, der kann seinen Unmut an der Wahlurne kundtun. Steuergesetzgebung benötigt Freiraum. Das Bundesverfassungsgericht hätte dem Gesetzgeber hier nicht in die Parade fahren dürfen.

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SZ vom 08.06.2017
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