Süddeutsche Zeitung

Ungleichheit:Arm und kein Entkommen

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Von Henrike Roßbach, Berlin

Wer arm ist, hat ein hohes Risiko, dauerhaft arm zu bleiben - und wer reich ist, bleibt es ebenfalls häufig. Zu diesem Ergebnis kommt der neue Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. "Vor allem Armut hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verfestigt", heißt es in dem Bericht, "aber auch Reichtum wird immer dauerhafter."

Grundlage der Untersuchung sind die Daten des sogenannten Sozio-oekonomischen Panels. Seit 1984 werden dafür ausgewählte Haushalte regelmäßig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) befragt; derzeit rund 30 000 Personen in 11 000 Haushalten.

Als dauerhaft arm gelten dem Verteilungsbericht nach Haushalte, die fünf Jahre lang durchgehend ein verfügbares Einkommen - netto, inklusive aller Transferzahlungen - unterhalb der Armutsgrenze hatten. Als arm gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Für einen Ein-Personen-Haushalt waren das 2015 (auf diesen Daten beruht der Bericht) etwas mehr als 12 000 Euro im Jahr. Die gängige Armutsdefinition ist bei vielen Experten umstritten: In einem fiktiven Dorf, in dem das Durchschnittseinkommen bei einer Million Euro liegt, würde ein Mensch mit einem Einkommen von einer halben Million Euro als arm gelten.

Dem Verteilungsbericht nach lebten 1991 gut elf Prozent aller Personen hierzulande in armen Haushalten, 2015 seien es knapp 17 Prozent gewesen. "Zurückzuführen sei der Anstieg in jüngerer Vergangenheit vor allem auf die Zuwanderung; unter den in Deutschland Geborenen sei die Armutsquote zuletzt stabil."

Die Reichtumsquote wiederum lag 1991 bei 5,6 Prozent, 2015 waren es knapp 7,5 Prozent. Höchste Einkommen und Vermögen würden dabei eher "untererfasst". Als reich gilt, wer mindestens das Doppelte des mittleren Netto-Einkommens zur Verfügung hat.

Die Daten zeigen, dass Armut in Deutschland für immer mehr Menschen zu einer Art Dauerzustand wird: So waren in Westdeutschland innerhalb der ersten fünf Jahre des betrachteten Zeitraums von 1991 bis 2015 nur 3,6 Prozent aller Personen dauerhaft arm. Zwischen 2001 und 2005 waren es bereits 5,3 Prozent und von 2011 bis 2015 5,5 Prozent. Beim Reichtum stieg die Quote ebenfalls, von anfangs 2,3 Prozent auf 3,4 Prozent.

Dauerhafte Armut trifft ganz bestimmte Bevölkerungsgruppen

Im Osten verlief die Entwicklung ähnlich: Für die ersten fünf Jahre gibt es zu geringe Fallzahlen; von 2001 bis 2005 lag die Armutsquote dann bei knapp 4,4 Prozent - also niedriger als im Westen. Zwischen 2011 und 2015 aber überholte sie das Westniveau und erreichte knapp 6,4 Prozent. Dauerhaft reich waren im Osten dagegen zunächst nicht einmal 1,7 Prozent aller Personen, im letzten Fünf-Jahres-Abschnitt weiterhin nur 2,1 Prozent.

Dauerhafte Armut trifft der Untersuchung nach ganz bestimmte Bevölkerungsgruppen: Überrepräsentiert sind Ostdeutsche, Rentner, Arbeitslose, Hauptschulabsolventen, Alleinerziehende, Migranten, Singles und Frauen. Die soziale Ungleichheit werde durch eine geringe soziale Mobilität verstärkt, warnen die Autoren des Verteilungsberichts. Das heißt: In einer Gesellschaft, in der ein Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär möglich ist, hat soziale Ungleichheit eine geringere Brisanz als in einer Gesellschaft mit verfestigten Strukturen von Arm und Reich. Je starrer das soziale Gefüge einer Gesellschaft sei, schreiben die Autoren, "desto starrer ist auch deren soziale Ungleichheit, was diese wiederum verstärkt". Die in Deutschland zu beobachtenden Entwicklungen seien daher "bedenklich".

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