Süddeutsche Zeitung

Amazon-Wearable "Halo":Alexa, wie geht es mir?

Lesezeit: 2 min

Amazons Armband "Halo" verspricht, unsere Gefühle zu analysieren. Bleibt die Frage: Wozu?

Von Michael Moorstedt

Die Zeit, die es braucht, bis aus vagen Visionen Realität wird, scheint immer noch mehr zu schrumpfen. Vor einem Jahr kündigte Amazon ein Gerät an, das Gefühle erkennen und entziffern könne. Damals rätselten die meisten Tech-Portale noch, ob man die Pläne ernst nehmen oder doch unter den üblichen Silicon-Valley-Machbarkeitsträumen einordnen solle. Vergangene Woche war es dann so weit. Halo sieht aus wie einer der Fitness-Tracker, mit deren Hilfe man angeblich zu einem besseren Menschen werden kann. Diverse Sensoren messen Herzschlag, Schritte, Körpertemperatur, außerdem sind noch einige Mikrofone verbaut, die Stimmhöhe, Sprechrhythmus und -tempo analysieren und anhand all dessen die Gefühlslage erkennen.

Die Emotionen, die das Bändchen angeblich dechiffrieren kann, sind bislang nicht sonderlich ausdifferenziert. Das Spektrum reicht von begeistert über gelangweilt und verwirrt bis hin zu besorgt. Daraus fertigt die Software dann eine Art emotionales Tagebuch: Hoffnungsvoll um halb elf, motiviert um Viertel vor, zögernd um kurz nach. Zudem lässt sich mithilfe des Bands und der dazugehörigen App ein Bodyscan anfertigen. Nur mit Unterwäsche bekleidet nimmt man aus vier Perspektiven ein Ganzkörperfoto auf. Anhand des zusammengerechneten 3-D-Porträts analysiert eine Software den Körperfettanteil. Wer will, kann eine Vorschau erhalten, wie man mit mehr oder weniger Speck am Leib aussehen würde.

Amazon betont, die Daten würden auf extra-Servern gespeichert

All das ist recht intim. Amazon beeilt sich deshalb auch klarzustellen, dass all die Daten auf separaten Servern gespeichert werden und nicht mit dem existierenden Profil bei Amazon verknüpft werden. Die Stimmaufnahmen sollen nur auf dem Smartphone selbst analysiert werden und gar nicht erst in die Cloud gelangen. Schwer zu glauben, wenn man an all die Datenschutzskandale der Vergangenheit denkt. Vor noch nicht allzu langer Zeit wurde beispielsweise öffentlich, dass die vermeintlich nicht für fremde Ohren bestimmten Kommandos, die Nutzer ihren Echo-Lautsprechern geben, durchaus menschliche Mithörer haben.

Da ist es kaum vorstellbar, dass die erhobenen Daten in diesem Fall nicht weiterverwendet werden. Sei es, um die Software noch präziser zu optimieren, um noch genauere Kundenprofile zu erstellen oder sie gleich weiterzuverkaufen. Wenn man nicht für etwas bezahlen muss, ist man selbst das Produkt, lautet ein alter Slogan der Technik-Kritiker. Allein: Das gilt schon lange nicht mehr. Das Gerät selbst hat einen stolzen Preis - und will man die beworbenen Funktionen nutzen, kostet das noch mal eine Abogebühr.

Die Einführung des Bändchens stellt eine weitere Stufe des Überwachungskapitalismus dar. Erst standen die Geräte nur auf den Schreibtischen, und immer machte ein Bildschirm klar, dass womöglich jemand speichert, was man da tut. Dann wurden Wohnzimmer und Küchen mit Empfängern bevölkert. Jetzt soll man die Gadgets am Körper tragen. Jeder Konzern will Einblick in die Nutzerhirne und -körper. Sollen sie ihn doch haben, will man manchmal rufen, dann wäre der ganze Quatsch endlich vorbei. Der Widerstand schwindet. Oder wächst der Druck? Man ist verwirrt. Vielleicht kann doch nur noch Amazons Armband klären, wie sich das wirklich anfühlt.

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Quelle:
SZ vom 31.08.2020
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