Süddeutsche Zeitung

Sport:Abgefahren

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Fliegende Füchse, tanzende Skifahrer, motorisierte Toreros: Die "Enzyklopädie der vergessenen Sportarten" ist keine Satire, sondern höchst unterhaltsame Lektüre.

Von Titus Arnu

Der Flying Fox ist keine neue Erfindung. Schon im 17. Jahrhundert existierte eine Funsportart mit fliegenden Füchsen - das sogenannte Fuchsprellen. Das bizarre Spektakel war in Sachsen sehr beliebt. Beim Fuchsprellen katapultierten Damen und Herren der feinen Gesellschaft Füchse mithilfe von Netzen und Tüchern in möglichst große Höhen. Die Tiere wurden dazu in eine Arena getrieben, den Fuchsprellhof, der mit Stoffbahnen ausgelegt war, den Prelltüchern. Gegenüber postierte Prell-Partner zogen ruckartig an dem Stoff, sobald ein Fuchs auf ihren Abschnitt trat - und ließen ihn bis zu sechs Meter hoch durch die Luft wirbeln. Gegen Ende der Volksbelustigung wurden die verletzten Tiere mit einem beherzten Keulenschlag erledigt.

Wer kennt heutzutage noch das Feuerwerksboxen, bei dem Ende des 19. Jahrhunderts Männer in Asbest-Kampfanzügen gegeneinander antraten, während an ihnen Feuerbälle explodierten? Oder Luftgolf: Ein Spieler wirft aus einem Flugzeug Bälle ab, möglichst nah an die Greens, ein zweiter Spieler am Boden locht ein. Viele ähnlich groteske Sportarten sind der Zeit zum Opfer gefallen, und doch geben sie Aufschluss darüber, mit welch überbordender Fantasie und extravagantem Stilgefühl Menschen einst ihre Freizeit gestaltet haben.

Die absurdesten Disziplinen hat Edward Brooke-Hitching in seiner "Enzyklopädie der vergessenen Sportarten" detailliert beschrieben. Der Autor ist Brite, und die meisten historischen Beispiele stammen aus Großbritannien, dem Heimatland der verschrobenen Kunst, seine Freizeit mit seltsam anmutenden Leibesübungen zu verbringen. Der Begriff "Sport" stammt übrigens vom englischen Wort "Disport", was für Lustbarkeit und Zerstreuung steht.

Brooke-Hitching arbeitete in einer Eisfabrik, schrieb für Zeitungen und studierte Filmwissenschaften, bevor er zufällig ein deutsches Jagdbuch aus dem Jahr 1719 in die Hände bekam, in dem vom Fuchsprellen die Rede war. Er wurde neugierig, recherchierte jahrelang in Archiven und stieß auf eine Reihe anderer vergessener Sportarten, von Aalziehen über Eselboxen bis Zentrifugalkegeln. Die Sportarten auf Brooke-Hitchings Liste sind allesamt ausgestorben, und bei den meisten muss man erleichtert dazu sagen: zum Glück!

Die Gründe für den Misserfolg der Disziplinen liegen in den meisten Fällen auf der Hand. Sie lassen sich in drei Kategorien einteilen: Grausamkeit gegen Tiere, Lebensgefahr für die Athleten, grobe Lächerlichkeit. Bei manchen Sportarten treffen auch alle drei Gründe zu. Vieles davon erinnert an Monty Python's "Olympiade der Idioten", bei der Disziplinen wie "200 Meter Brust der Nichtschwimmer" und "3000 Meter Hindernislauf der Männer, die sich für Hühner halten" abgehalten werden.

In Norfolk, berichtet Brooke-Hitching, existierte eine Sportart namens "Dwile Flonking": Dabei tanzten zwölf Leute zu Akkordeonklängen um den "Flonker" herum, der einen biergetränkten Lappen, den "Dwile", auf einem Stock balancierte und versuchte, damit den Gegner ins Gesicht zu schlagen. Der Leser fragt sich, ob es sich um Satire handelt - doch der Autor belegt alles mit Quellen und Fotos.

In der Zeitschrift Popular Science stand 1923 ein euphorisch klingender Bericht über eine neue Sportart namens Ballonspringen: "Würden Sie nicht gerne Ihren eigenen handgetriebenen Ballon besitzen, um Ihren Samstagnachmittag mit einem Vergnügungsausflug durch die Lüfte zu verbringen, an die tausend Fuß hoch, unter dem runden Bauch eines kleinen gasgefüllten Beutels baumelnd, und überall dorthin reisen, wohin verspielte Brisen sie treiben?" Äh, nein, lieber nicht. Denn beim Ballonhüpfen mag man sich vielleicht wie in einem Traum fühlen, in dem man schwerelos über die Landschaft schwebt - andererseits hat man keinerlei Kontrolle über die Flugbahn. Viele moderne Argonauten trieben auf Nimmerwiedersehen ab, blieben an Hochspannungsleitungen hängen oder starben durch Explosionen. Bedauerlicherweise sei es nie gelungen, den Sport auf das Sicherheitsniveau unterhalb von "regelmäßige Todesfälle" zu senken, heißt es.

Fehlgeleiteter Fortschrittsgeist brachte öfters mal gefährlich blöde Sportarten hervor. Im Zuge der allgemeinen Motorisierung Anfang des 20. Jahrhunderts erfand der französische Unternehmer Henri Deutsch de la Meurthe den Auto-Stierkampf. Der Torero betrat die Arena nicht hoch zu Ross, er fuhr in einem gepanzerten Peugeot mit Zwölfzylindermotor auf das arme Tier zu. Allerdings war der Stier beim ersten Auftritt des Autoreros in Bayonne so geschockt, dass er "den Schwanz einzog und die Flucht ergriff", wie die Londoner Times berichtete. Weitere sechs Stiere wurden in die Arena getrieben, aber kein einziger griff den Peugeot an, so dass die Veranstaltung kampflos abgebrochen wurde - und die Sportart sich nie durchsetzte.

"Wenn man nicht vor Angst stirbt, lacht man sich tot", bilanzierte Miami News 1924 nach einem Autopolo-Turnier. Bei dieser Sportart wurden die Polopferde durch Autos ersetzt, was ebenso unfallträchtig wie unpraktisch war. Wenn eine Sportart nicht wegen Tierquälerei (siehe: Oktopus-Ringkampf, Goldfischschlucken, Katzenkopfstoßen) oder Lebensgefahr (siehe: Nahkampf mit Bären) ausstirbt, dann eben wegen erwiesener Lächerlichkeit. Auf der Liste stehen Menschenweitwurf, Fahnenmastsitzen und Einbeiniges Cricket. Sport ist ja oft eine Methode, Krankheiten durch Unfälle zu ersetzen. Aber in manchen Fällen ist es auch eine Methode, Menschen besonders idiotisch aussehen zu lassen. Aus Sicht des Chronisten Brooke-Hitching wird dies drastisch deutlich beim Skiballett, bei dem ein "in Elasthan gekleidetes Frankenstein-Monster geschaffen wurde, indem man Freestyle-Skiing, Eistanzen und einen schrecklichen Modegeschmack miteinander kombinierte".

Schrecklicher Modegeschmack, kombiniert mit bizarren Bewegungen, das macht einen etwas nachdenklich . . . die Frage ist, ob Nordic Walking und Flying Fox in hundert Jahren ebenfalls auf der Liste der ausgestorbenen Sportarten stehen.

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Quelle:
SZ vom 08.10.2016
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