Süddeutsche Zeitung

Modekolumne Ladies & Gentlemen:Langer Prozess

Lesezeit: 2 min

Wie kurz dürfen kurze Hosen sein? Das ist eine Frage, die sich in diesem Sommer ausnahmsweise nicht stellt. Die Shorts bleiben im Schrank, dafür trägt man Bermudas, die das Knie bedecken. Ist das vorteilhaft? Da muss man länger überlegen.

Von Jan Kedves und Julia Werner

Für sie: Verhülltes Knie

Darüber, dass kurze Hosen in die weibliche Sommergarderobe gehören, wird schon lange nicht mehr diskutiert. Darüber welche, schon, und zwar jedes Jahr auf's Neue, denn Shorts sind längst ein wichtigerer Zeitgeistmesser als die Rocklänge. In den vergangenen Sommern dominierten hauptsächlich hoch in der Taille sitzende Modelle in leichter A-Linie, weil das an den meisten Frauen annehmbar aussieht. Denn das Vorteilhafte ist ja komischerweise immer noch ein Thema, auch wenn Übergewicht mittlerweile offizielles Göttinnenmerkmal ist. Und jetzt aber das: Die neue kurze Hose ist eher eine sehr lange, weite Bermuda, und ihr wichtigstes Detail ist es, dass sie bis übers Knie reicht. Mit einer neu entdeckten Lust am Bedecken von Problemzonen kann das aber nichts zu tun haben. Denn das Frauenbein sieht durch die neue Trendhose ja nicht besser aus, im Gegenteil: Vielmehr lässt sie vergessen, dass es, egal ob dick oder dünn, meistens ja doch irgendeine interessante Form hat. Dass das New Yorker Label Coach gar nicht erst versucht, diese Silhouette mit feinen Sandalen zu strecken, sondern die Kniehose mit derbem Schuhwerk kombiniert, kann man als Durchbruch zu einem vom Sexyness-Diktat befreiten Frauenkörper lesen: Die Aufmerksamkeit landet nicht mehr auf labbrigen Knien, zarten Fesseln oder sonstigen Beincharakteristika, sondern auf der bodenständigen, neutralen Wade. Man sollte das gutgelaunt mitmachen, mit dem Wissen, dass man ja noch einen Oberkörper hat, mit dem man zum Glück machen kann, was man will.

Für ihn: Umspieltes Knie

Über die potenzielle Ansehnlichkeit frei hergezeigter Männerbeine muss man nicht mehr diskutieren, seit im vergangenen Jahr "Short Shorts" in waren: Hosen, deren Kürze man lieber nochmal extra betonte, weil Shorts bei Männern sonst ja nicht so kurz sind. Die Aufregung war riesig, der Guardian fragte: "Sind wir bereit für soviel männliches Fleisch?", aber ein bisschen Langzeitgedächtnis hilft: Lief nicht der FC Bayern die gesamten 60er-, 70er- und 80er-Jahre in Short Shorts herum, ohne dass jemand sich vom vielen schönen Bein provoziert fühlte? Im Sommer 2022 geht es mit der Saumlänge allerdings schon wieder hinab, die neuen kurzen Hosen umspielen das Knie statt den Schritt, was auch heißt: Mit solchen Boardshorts (so heißen sie bei Männern fast öfter als Bermudas) kann er sich entspannt aufs Surfbrett hocken, ohne Angst, dass was rausrutscht. Die beuteligen Schnitte sind von Firmen wie Quiksilver und Rip Curl perfektioniert worden. Warum es beim Wellenreiten praktisch ist, soviel Stoff zu tragen, bleibt ein ewiges Rätsel. Saugt der sich nicht voll? Solche Schnitte gibt es jetzt auch von Etro, Lanvin, Fendi, Armani, Zegna, und so weiter. Elegant ist das ja schon, wie der Stoff so schwingt und das Knie mal freilegt und dann wieder verschwinden lässt. Andererseits: Irgendwie auch blöd, wo sich zuletzt doch viele coolen Typen einen Smiley, ein Fahrrad oder eine kurze Hose auf den Oberschenkel stechen ließen. Die Tattoos werden jetzt verdeckt. Bis es mit der Saumlänge zurück nach oben geht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5587910
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.