Rebecca Clopath:Warum diese Schweizer Spitzenköchin Bergbäuerin wird
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Rebecca Clopath gilt als talentierteste Köchin der Schweiz. Trotzdem würde sie niemals ein eigenes Restaurant eröffnen. Sie ist ja nicht wahnsinnig. Und genau deshalb wird sie jetzt auch Bergbäuerin.
Von Julia Rothhaas
Die Erntehelfer schieben sich bäuchlings auf niedrigen Karren über das Feld, das Karottengrün muss per Hand von Löwenzahn, Gras und Disteln befreit werden. Stück für Stück fieseln sich die Arbeiter über die Wälle, Knochenarbeit. Ihre Beine sind braun von der lehmigen Erde, die Arme leuchten rot, es ist vormittags schon mehr als 30 Grad heiß. Nur eine strahlt: Rebecca Clopath. Gemüse. Erde. Feld. Genau ihr Ding.
Sie wird an diesem Tag noch Tausende Salatsetzlinge im Boden versenken, bis spät in den Abend hinein. Das Wetter soll kippen, da zählt jede Stunde. Unkraut jäten, auf der Setzmaschine schwitzen, Gemüsekisten packen - es dürfte wohl kaum einen Koch in ihrer Liga geben, der sich so auf dem Acker quält. Viele setzen zwar auf regionale Produkte oder gar Gemüse aus dem eigenen Garten, aber kaum einer ist dabei so konsequent wie Rebecca Clopath.
"In der Spitzengastronomie wird man mich nicht mehr finden", sagt die 29-Jährige. "Ich wüsste auch nicht, warum." Dabei haben viele darauf gewartet: Clopath gilt als eines der größten Schweizer Küchen-Talente: Eine, die jahrelang beim experimentellen Sternekoch Stefan Wiesner in der Küche stand, die zur Schweizer Kochnationalmannschaft gehörte, die schon mit 13 Jahren im hochdekorierten Gourmetlokal geschafft hat - so eine muss doch jetzt ein eigenes Restaurant eröffnen, oder?
"Nüt für mi", sagt sie und verschränkt die Arme. "Vielleicht bin ich ein bisschen zu friedliebend, ich will das nicht." Sie kenne niemanden, der ein Restaurant und damit nicht bald auch eine Lebenskrise habe. "Friede, Freude, Eierkuchen" - das ist tatsächlich ihr Lebensmotto. Es mag naiv klingen, doch das ist sie nicht. Sie meint es ernst. Damit sie ihr Motto nie vergisst, trägt sie auf den Fingern der linken Hand drei Tattoos: ein Peace-Zeichen, einen Smiley und ein Stück Torte.
Das Unkrautzupfen gehört zum praktischen Teil ihrer Ausbildung, denn Rebecca Clopath wird jetzt Bäuerin. Das war keine Entscheidung aus Trotz oder Frust, ihr geht es um eine andere Wertschätzung für die Produkte, die sie später verarbeitet. Man könnte auch sagen: Sehr viele Köche reden gerade etwas wichtigtuerisch von "farm to table" - sie handelt danach. Der Weg vom Feld in die Küche, er fehlte ihr, und dazu die Möglichkeit, Würste oder Butter selbst zu machen. "Doch gerade das ist so wertvoll, auch weil man seinen Gästen erzählen kann, wo was gewachsen ist und wie man es zubereitet hat." In der Spitzengastronomie ist dafür keine Zeit. Aber in Lohn gehen die Uhren anders.
Das kleine Dorf in Graubünden liegt über dem Schamsertal zwischen der Schlucht Via Mala und dem San-Bernardino-Pass, es geht viele Haarnadelkurven hinauf bis auf 1600 Meter. Der Ort hat 42 Einwohner, alte Häuser aus Stein und Holz, eine Kirche mit bestem Ausblick auf die umliegenden Gipfel, einen Selbstbedienungsladen, der aus zwei Kühlschränken besteht und einer Geldkassette. Sie sei hier wie in einer Märchenwelt aufgewachsen, sagt sie, geborgen und sicher. "Es war gut, da mal wegzukommen und zu merken, dass der Rest der Welt nicht so tickt." Doch jetzt ist Rebecca Clopath zurück. Sie will den Bauernhof ihres Vaters übernehmen.
Das ist ungewöhnlich für eine Frau hier oben, auch heute noch. Gemeinsam mit einem befreundeten Paar soll es bald losgehen. Die Theorie der Bauernausbildung liegt bereits hinter ihr, sie hat gelernt, wie man Gemüse anbaut, die Betriebskosten für einen Hof ausrechnet, wie man bügelt und putzt. Jetzt hat sie sechs Jahre Zeit für die Praxis, dann ist sie berechtigt, nicht produktgebundene, staatliche Subventionen zu erhalten.
Neben der Arbeit auf dem Gemüsehof wollte sie sich eigentlich bei anderen Betrieben umgucken, sie war schon bei einem Gärtner und in einer Käserei. Doch zu Hause gibt es zu viel zu tun und sie hat noch einiges mehr vor: Sie will auf ihrem Hof ein Mikroklima schaffen, in dem alles untereinander und miteinander funktioniert. Dazu gehört etwa ein Teich mit Wasserlinsen, damit Insekten dort trinken können, ohne zu ersaufen. Die Erdbeeren sollen neben dem Fenchel wachsen, damit weniger Tiere daran knabbern, und die Felder bekommen regelmäßig nur Grünsaat, damit im Boden genug Nährstoffe stecken.
Nebenbei will Rebecca Clopath kochen, auf Veranstaltungen in Zürich und Bern, aber auch hier in Lohn. An je vier Wochenenden im Frühjahr und im Herbst bietet sie sogenannte Ess-Wahrnehmungen an, Neun-Gänge-Menüs für maximal zwölf Gäste pro Abend.
In einer kleinen, einfachen Küche im Erdgeschoss ihres Elternhauses zieht sie Spitzwegerich, Disteln und Thymian aus dem Trockenautomat, eine Maschine, die den Kräutern das Wasser entzieht. Auf der elektrischen Herdplatte, der einzigen in der ganzen Küche, köcheln Johannisbeeren, die sie am Abend mit Zirbelkiefer-Eiscreme und Torf-Crumble anbietet. Die Anschaffung der Vakuummaschine und des Thermomix gingen eben vor, genauso wie das nach ihren Vorstellungen getöpferte Geschirr und das geschmiedete Besteck.
Oder die knallrote Schinkenschneidemaschine im Café neben der Küche, in dem sie ihre Gäste bewirtet. "Die habe ich mir mit 21 gekauft. Ich hatte die Wahl: ein eigenes Auto oder die hier."
Rebecca ist offensichtlich eine Frau, die sehr genau weiß, was sie will - und was sie nicht will. Deshalb benutzt sie nur Zutaten, die man auch im Alpenraum findet. Gewürze wie Zimt, Pfeffer oder Vanille gibt es bei ihr nicht. "Es wäre schade, wenn man die Johannisbeeren mit Vanille zuknallt", sagt sie und rührt im Topf. "Die haben so einen tollen eigenen Geschmack."
Zuerst die Geschichte, dann das Menü
Wenn sie ihre Menüs zusammenstellt, sucht sie erst nach einer Geschichte und überlegt dann, welche Zutaten dazu passen könnten. Im Frühling ging es um das Leben der Bauern im hochalpinen Raum. Zu der Geschichte über die Walser etwa, bei denen sechzig Prozent Blutgruppe null haben sollen, gab es Blutwurst mit roter Bete, Fichtenharz, Zapfen, Samen und Ziegenfrischkäse. Als sie ihren Gästen hingegen vom Seelenfenster erzählte, das laut Tradition nach dem Tod geöffnet wird und durch das die Seele entweichen soll, servierte sie ein Chutney aus getrockneten Birnen ("etwas Erdiges, der Körper"), Fenchelgrün ("steht für das Ätherische, wegen der ätherischen Öle, die es enthält") und Fenchelsamengeist ("die Seele"). In diesem Herbst wird die Jagd Thema sein.
Die Zutaten für ihre Gerichte holt sie sich, soweit es geht, aus dem eigenen Garten. "Komm, wir gehen einkaufen", sagt sie, wackelt mit ihrem dunklen Pony und spaziert mit einem Weidenkörbchen aus der Tür. Gleich neben der Küche wachsen blaue Kornblumen, am Gartenzaun steht wilder Hopfen, der in Nussbutter gebraten wie wilder Spargel schmeckt, und im Gemüsegarten holt sie noch Labkraut, Sauerampfer, Beinwell, Brennnessel-Dolden und Rosenblätter. Die Frau, die einen Tag zuvor noch wie eine Maschine Gräser gerupft hat, legt nun jedes Blatt und jede Blüte mit größter Vorsicht in ihren Korb.
Rebecca Clopath wird häufig als Naturköchin bezeichnet, aber was genau das sein soll, weiß sie auch nicht. Sie macht einfach, was ihr in den Kram passt. Dafür wird sie manchmal kritisiert. Etwa als die vegane Küche vor fünf Jahren in Mode kam und sie erzählte, dass sie von den Rindern oder Schweinen, die sie auf dem Hof aufziehen, alles benutzt. "Es ist viel nachhaltiger, wenn ich von meinem Schwein auch die Haxen verwende, als wenn ich mir Chia-Samen aus Mittelamerika schicken lasse."
Regelmäßig steht sie in einer Metzgerei, um sich in Sachen "Second Cuts" fortzubilden, den wenig populären Stücken, die zum Wursten verwendet werden. Richtig herausgeschnitten und zubereitet sind sie jedoch nicht minder schmackhaft als Filet und Entrecote.
Das Essen spielt schon in Rebecca Clopaths Kindheit eine große Rolle. Ihre Mutter ist neugierig und kocht afrikanisch, indisch, asiatisch. Zum Frühstück gibt es manchmal Miso-Suppe oder Nori-Blätter als Pausenbrot für Rebecca und ihre zwei Jahre jüngere Schwester.
Der Fokus auf dem vermeintlich besten Stück - ein Albtraum
Weil sie keine Lust hat, bei der Heuernte zu helfen, steht sie früh mit in der Küche und lernt, wie man gut würzt oder Rezepte richtig liest. Mit 13 Jahren beschließt sie, Köchin zu werden. Ihre Lehre macht sie beim "Chrüter-Oski", der jahrelang ein Gourmet-Restaurant im Kanton Bern führte. Plötzlich steht das Mädchen aus der Idylle in einer Küche mit deutlich anderem Tempo und Ton. "Das war krass, aber das Team war super. Da habe ich mir gesagt: Scheiß drauf."
Ihre Lehre schließt sie als eine der besten fünf im Kanton ab, bald ist sie Mitglied der Schweizer Kochnationalmannschaft. Zwei Jahre lang arbeitet ihr Team an Kreationen, die mit so viel Gelatine zubereitet werden, dass sie zwar auf dem Ausstelltisch über Stunden köstlich aussehen, aber ungenießbar sind. Für Rebecca Clopath ein Albtraum - so viele verhunzte Lebensmittel, der Fokus nur auf dem vermeintlich besten Stück.
Jemand erzählt ihr von Stefan Wiesner, dem "Hexer vom Entlebuch", der mit Holz, Moos, Steinen kocht, alle Teile von Tier und Pflanze nutzt, und bekannt wurde mit Gerichten wie Heu-Suppe. Sie ist begeistert, nach zwei, drei Anläufen ist endlich ein Job bei ihm frei, er wird ihr Mentor. Eher zufällig fängt sie nach fünf Jahren an, auf Anfrage an freien Tagen auch alleine zu kochen.
Sie erklärt ihren Gästen ihr Essen
Was man den Gerichten von Rebecca Clopath anschmeckt, ist der Mut, ungewöhnliche Wege zu gehen. Genau das macht ihre Küche so spannend. "Ich bin wie ein Chamäleon, ich passe mich an", erklärt sie. "Tour de frigo" - was ist da, was hat Saison, was kann man daraus machen? Niemand komme zu ihr und sagt, was er essen will. "Ich bestimme, was auf den Tisch kommt." Die ungewöhnlichen Wege müssen alle mitgehen. Innereienwurst oder Blutcreme - wenigstens mal probieren, so Clopaths Devise. "Immerhin erkläre ich meinen Gästen, was in meinem Essen drin ist. Nestlé macht das nicht."
Passt ein Paradiesvogel ins Bergdorf?
So ganz kann man sich nicht vorstellen, wie Rebecca Clopath auf Dauer in dem sehr überschaubaren Dorf leben wird. Sie ist nicht nur ein Chamäleon, sondern auch ein Paradiesvogel unter den ganzen Alpendohlen hier, mit ihrem Piercing-Ring unter der Nase, dem Undercut im Nacken und einer spielerischen Neugier, alles mindestens einmal auszuprobieren.
Zumal auch hier nicht alles nur Friede, Freude, Eierkuchen sein wird. Sie hat es sich ausgerechnet: Ein Durchschnittsbauer bekommt 4100 Franken im Monat, etwa 3500 Euro. Dafür muss er sieben Tage die Woche arbeiten und kann nur Urlaub machen, wenn er jemanden findet, der in dieser Zeit gegen Bezahlung übernimmt. Ein Bauernleben ist hart: Wer kann, zieht weg und sucht sich einen anderen Job.
Rebecca Clopath legt jetzt los. Um Geld geht es ihr nicht. Das eigene Haus, das eigene Land, das eigene Essen: "Wenn es schiefgeht, weil sich niemand dafür interessiert, was ich hier mache, habe ich wenigstens alles zum Leben, was ich brauche."