Süddeutsche Zeitung

Essen und Trinken:Gut geerdet

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Teltower Rübchen sind eine Delikatesse - und vom Aussterben bedroht. Zu Besuch bei den letzten beiden Bauern, die das einst so berühmte Gemüse noch anbauen.

Von Georg Etscheit

Sie sind eher klein und kegelförmig, haben eine weiße Färbung mit manchmal etwas unschönem Braunstich, eine lange, dünne Hauptwurzel und jede Menge Haarwurzeln. Viel Staat ist mit den blassen Knollen schon optisch nicht zu machen, und daher wundert es ein wenig, dass Ronny Schäreke ein Exemplar des, wie er sagt, "Edelgemüses" beinahe zärtlich betastet. Ja, dass der Landwirt es sogar auf eine Stufe stellt mit dem bekanntesten Vertreter aus der Gattung der Edelgemüse, dem Spargel.

Die Rede ist von Teltower Rübchen, einer seltenen Minirübe, die so unscheinbar ist, dass man sie auf dem Markt neben leuchtenden Tomaten und Paprika, prallen Kürbissen und makellosen Gurken sogar dann übersehen würde, wenn es sie überall zu kaufen gäbe. Doch meist sucht man sie vergeblich, denn Teltower Rübchen sind eine fast vergessene Delikatesse, wenn auch eine, die mal berühmt war. Schon Goethe, Kant und Fontane sollen sie so geschätzt haben, dass sie sich die Spezialität im Herbst und Winter per Eilboten liefern ließen. Die Rüben sollen es sogar an den kaiserlichen Hof Napoleons geschafft haben, nachdem sie französische Truppen als "Navets de Teltow" in ihrem Heimatland bekannt gemacht hatten.

Heute ist Ronny Schäreke in Ruhlsdorf, südlich von Berlin, einem Ortsteil von Teltow, einer von zwei Landwirten, die das Rübchen überhaupt noch anbauen. Diese Tatsache verleiht dem stämmigen Brandenburger einiges an Selbstbewusstsein, wenn er fast abschätzig von anderen Rüben spricht, der Mairübe etwa oder der Herbstrübe, die oft als Teltower Rübchen angeboten würden, "obwohl sie geschmacklich nicht mithalten können". Die Rübchen sind seit 1993 als Marke geschützt, weswegen nur originale Vertreter der Speiserüben-Varietät Brassica rapa L. subsp. Rapa f. teltowiensis als Teltower Rübchen bezeichnet werden dürfen. Theoretisch können sie überall angebaut werden, doch ihren typischen Geschmack - da ist man in Brandenburg streng - entwickeln sie angeblich nur auf der Teltower Platte, einer eiszeitlichen Hochfläche, die heute die Landkreise Teltow-Fläming und Potsdam-Mittelmark umfasst mit dem Teltowkanal als nördlicher Anbaugrenze. "Wir haben ständig mit Plagiaten zu tun", klagt Schäreke und notiert sich auf seinem Handy den Namen eines Berliner Marktes, wo an einem Samstagvormittag frecherweise "Hamburger Rübchen Teltower Art" angeboten wurden, wobei es sich natürlich um eine ganz andere Rübenvarietät handelt. Oft würden selbst Pastinaken oder ordinäre Petersilienwurzeln als Teltower Rübchen ausgegeben, seufzt Schäreke.

Es gibt sogar einen Förderverein für den Anbau des Rübchens - bisher ohne Erfolg

Mit "wir" meint er den Förderverein für das Teltower Rübchen e. V., der seit 1998 besteht und sich zum Ziel gesetzt hat, eine Renaissance des Teltower Rübchens einzuleiten, und zu diesem Zweck ein alljährliches Rübchenfest organisiert und allerlei Rübchen-Derivate propagiert: Rübchenbratwürste, Rübcheneis, Rübchenwein, Rübchenschnaps. Die Wiederauferstehung lässt allerdings auf sich warten, denn neben Schäreke, der Landwirtschaft im Nebenerwerb betreibt, gibt es nur noch den Biobauern Axel Szilleweit, der auf seinem Obst- und Gemüsehof unweit von Schärekes Anwesen in nennenswertem Umfang Teltower Rübchen kultiviert. Er engagiert sich auch in der Slowfood-Bewegung, die das Rübchen 2008 in die "Arche des Geschmacks" aufgenommen hatte. Alles in allem bringen es die beiden letzten Teltower-Rübchen-Mohikaner auf gute zehn Hektar Anbaufläche. Bei einem Ertrag von einer bis 1,5 Tonnen vermarktungsfähiger Ware pro Hektar macht das gute zehn Tonnen pro Jahr, also streng genommen so gut wie nichts, wobei der Preis zwischen sieben und acht Euro pro Kilo liegt. Dieses Jahr, sagt Szilleweit, sei weniger Menge zu erwarten. Es sei zu feucht gewesen, das liebten die Rübchen nicht.

Teltower Rübchen sind Überlebenskünstler. Sie brauchen nur wenig Wasser und lieben magere, sandig-lehmige Böden. Beides finden sie in diesem Teil der brandenburgischen Streusandbüchse, wo man die Rübchen einst nach der (oft mageren) Getreideernte direkt in die Stoppelfelder säte, um im Winter noch eine zweite Ernte einfahren zu können. Rübchen waren eine der vielen Armeleutespeisen, die mittlerweile zur Delikatesse avanciert sind. Dabei steht ihre Anspruchslosigkeit in direktem Verhältnis zu ihrem intensiven, leicht scharfen, an Meerrettich, aber auch Kokos erinnernden Geschmack und ihrer kompakten, fast zähen Konsistenz. "Je weniger Wasser", desto intensiver das Aroma, sagt Szilleweit, der mit diesem Rezept auch bei seinen Wildtomatenkulturen Erfolg hat. Außerdem hätten Teltower Rübchen einen besonders hohen Gehalt an mutmaßlich krebshemmenden Glucosinolaten, sekundären Pflanzenstoffen, die Kresse, Kohl- und Rettichsorten ihren bitteren Geschmack verleihen.

Wer im Herbst und Winter - die Erntesaison reicht, je nach Wetter, bis Februar oder März - ein Kilo Teltower Rübchen ergattert, kann sich glücklich schätzen, wie jener Herr, der gerade ein Bastkörbchen aus Schärekes Hofladen davonschleppt und sich schon auf seine Rübchen-Rahmsuppe freut. Das meiste wird ab Hof abgesetzt, doch Szilleweits Rübchen wurden sogar ein paar Jahre lang auf dem Münchner Viktualienmarkt angeboten. Es habe dann erntebedingte Lieferprobleme gegeben, weshalb die Geschäftsbeziehung leider eingeschlafen sei.

Besonders gut schmeckt die Rübe karamellisiert zu Bratwurst

Die Frage, warum angesichts des Hypes um Regionalprodukte nicht mehr Bauern in Teltow und Umgebung Rübchen anbauen, erklären die beiden Landwirte mit dem enormen Arbeitsaufwand. Die pummeligen Früchte müssten von Hand aus dem Acker gezogen, vom Laub befreit und gesäubert werden. Zugelassene Pestizide gibt es nicht, weil der Markt zu klein sei, wobei Szilleweit als Biobauer darauf ohnehin verzichtet. Außerdem müssen die Kulturen zum Schutz gegen die Kohlfliege mit Netzen abgedeckt werden. Sören Kosanke vom Rübchen-Förderverein kennt noch einen weiteren Grund: die zunehmende Zersiedelung im Berliner Speckgürtel, der immer mehr Ackerfläche zum Opfer falle. Eine Erklärung, die man nachvollziehen kann, wenn man sieht, wie Szilleweits Hof heute regelrecht eingeklemmt ist von Neubaugebiet, Gartencenter und Hundeschule. Klar ist: Der Förderverein hat sich viel vorgenommen damit, weitere Landwirte für den Anbau zu interessieren und den Absatz der Rübe wieder anzukurbeln. Immerhin: Es ist nicht unmöglich, Teltower Rübchen zu bekommen, Szilleweit verschickt seine auf Anfrage bundesweit.

Wenn man sie dann glücklich vor sich liegen sieht, muss man sie zunächst sorgfältig schälen, am besten mit dem Spargelschäler. Je nach Größe werden sie in zwei Hälften geteilt oder geviertelt und dann in Butter und Zucker karamellisiert, bevor man sie mit Brühe aufgießt, die man so lange einkochen lässt, bis die Rübchen gar sind, bissfest wohlgemerkt. Besonders gut schmecken glacierte Rübchen als Beilage zu würzigen Bratwürsten, egal übrigens ob mit oder ohne Ursprungsbezeichnung. Und als Vegetarier mag Biobauer Szilleweit seine Teltower Rübchen auch als Salat, den er mit Möhre und Apfelstücken anreichert und mit Rosinen, getrockneten Datteln, Feigen, einem Schuss Zitronensaft und einem Löffel Honig verfeinert.

Rezept für Teltower Rübchenrahmsuppe:

Zutaten (6 Personen): 900 g Teltower Rübchen geputzt, in Stücke geschnitten, 30 g Butter, 100 g geputztes Röstgemüse (Lauch, Sellerie, Zwiebel), 120 ml trockner Weißwein, 500 ml hellen Kalbsfond, 200 ml süße Sahne, Salz, Pfeffer, Muskat, nach Geschmack 200 g Wildschweinschinken.

Zubereitung: Butter im Topf zerlassen, Röstgemüse und Teltower Rübchen andünsten; mit Weißwein ablöschen; Kalbsfond angießen und etwa 35 Minuten garen; Suppe mit dem Mixer pürieren, durch ein Sieb gießen und anschließend mit Sahne erhitzen; Mit Salz, Pfeffer, Muskat abschmecken; Suppe erneut aufmixen, Wildschweinschinken kross ausbraten, Suppe mit geschlagener Sahne und krossem Wildschweinschinken garnieren.

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