Süddeutsche Zeitung

Modebranche:Keine Lust auf Onkel Terry

Lesezeit: 3 min

Immer wieder warfen Models dem Fotografen Terry Richardson vor, sie sexuell belästigt zu haben. Das hat in der Mode kaum einen interessiert - bis jetzt.

Von Tanja Rest

Das war im März 2015 in Paris, am Rande der Fashion Week. Man war von irgendjemandem mitgeschleppt worden, geile Ausstellung im Marais, musst du sehen! Vor der Galerie Perrotin standen die Modeleute bis weit auf die Rue de Turenne hinaus, gierig aufs Spektakel. Drinnen war das erste, was man sah, eine wogende Menschentraube, aus der die dürre Gestalt von Terry Richardson heraus stak. Er trug seinen Signature Look: Holzfällerhemd, Riesenbrille, Riesengrinsen. In den Armen hielt er zwei kichernde Blondinen, die mit ihren Handys rumfummelten, um alles auf ein Selfie zu kriegen: Terry, sich selbst und das Foto im Hintergrund, auf dem ein Model nur mit Kopf- und Schamhaar bekleidet war.

Der Titel der Werkschau lautete "The Sacred and The Profane", sie wurde allgemein als Rehabilitierung verstanden. Der jüngste Sexskandal um Richardson war da noch kein Jahr alt. Schwer zu sagen, was eigentlich ekelhafter war: die frontal geblitzten Nackten an den Wänden, der grienende Typ mit dem ewig erigierten Daumen - oder die Frauen, die gar nicht schnell genug in seine Arme hopsen konnten.

Am vergangenen Montag schrieb James Woolhouse, Vizepräsident von Condé Nast, eine Mail an die Führungsspitze des Verlags, zu dem unter anderem Vogue , GQ und Vanity Fair gehören. Öffentlich sollte der Inhalt nicht werden, klar, man hätte das lieber im Stillen erledigt. Einen Tag später wusste es trotzdem die ganze Branche: Condé Nast wird Richardson nicht mehr beschäftigen. Die Entscheidung lässt sich ohne große Mühe in die Post-Weinstein- und #MeToo-Ära einsortieren. Tatsächlich kommt sie 15 Jahre zu spät.

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Terry Richardson, 52, US-Amerikaner, gehört zu den bestbezahlten Fotografen der Welt. Er hat Barack Obama, Gwyneth Paltrow und Lady Gaga porträtiert und das amerikanische Suburbia mit all seinem grellen Trash in ein paar sehr lakonische Aufnahmen übersetzt. Berühmt und reich geworden ist er aber mit Porno-Chic: sehr junge, sehr nackte Mädchen in zweideutigen Posen oder bei eindeutigen sexuellen Handlungen. Die Sisley-Kampagne mit einer bezopften Jungbäuerin, der aus einem Kuheuter Milch ins Gesicht spritzt wie Ejakulat, ist von ihm. Ebenso das Video, in dem Miley Cyrus nackt auf einer Abrissbirne reitet. Es gibt das Foto, in dem seine Praktikantin in einem Mülleimer sitzt und ihm einen Blow Job verpasst, überhaupt ist Richardson sehr oft mit im Bild. Im Studio macht er sich gern selber nackig, damit alle schön locker sind, die Models sollen "Onkel Terry" zu ihm sagen. Manchmal hat er nach dem Shooting Sex mit ihnen. Das alles ist seit langer Zeit bekannt.

Die Vorwürfe sexueller Nötigung haben Richardsons Karriere von Anfang an begleitet. Er macht gar kein Geheimnis daraus, dass er mit vielen seiner Models mehr gemacht hat als Fotos. "Ich war ein schüchternes Kind", erzählte er der New York Post, "und jetzt bin ich dieser mächtige Kerl mit dem Ständer, der all diese Mädchen beherrscht." Das geschehe aber immer einvernehmlich, keine werde erpresst.

Nicht, dass es nicht genügend Frauen gegeben hätte, die ihre Version der Geschichte erzählten. Das Model Liskula Cohen berichtete, wie sie vor Richardsons Kamera Oralsex simulieren musste. Die Studentin Jamie Peck beschrieb 2010, wie er sie aufforderte, ihren Tampon zu entfernen, er wolle ihn als Teebeutel benutzen und dann Sex mit ihr haben. Nachdem sie aus einem Shooting geflohen war, sagte das Model Rie Rasmussen in einem Interview, Richardson setze junge Mädchen so lange unter Druck, "bis sie Fotos machen, für die sie sich hinterher schämen". Richardson bestreitet das bis heute, keine der Frauen hat Anzeige erstattet. In einer seriösen Branche wäre der Mann nun so lange ohne Arbeit, bis der Vorwurf der sexuellen Nötigung entweder widerlegt oder bewiesen wäre. Dies jedoch ist die Mode, und da wollten sie es all die Zeit lieber nicht so genau wissen. Da sind sie es gewohnt, junge Mädchen, die weit weg von zu Hause und ohne ihre Eltern unterwegs sind, wie Nutzvieh zu behandeln. Vergangene Woche hat das Model Cameron Russell unter dem Hashtag #MyJobShouldNotInclude-Abuse einige Leidensberichte veröffentlicht, die das ganze Elend abbilden. Die amerikanische Vogue setzt Terry Richardson seit sieben Jahren nicht mehr ein, H&M hat die Zusammenarbeit 2014 aufgekündigt. Aber die allermeisten Chefredakteure, Modechefinnen und Stylistinnen hielten ihm die Treue. Richardson drehte Beyoncés "XO"-Video, er fotografierte Titelbilder für W, Rolling Stone, Harper's Bazaar und GQ und hat die aktuellen Kampagnen von Valentino und Bulgari inszeniert. Das New York Magazine hat vor ein paar Jahren seine Tagesgage ausgerechnet, man kam auf 160 000 Dollar. Wenn sich Modehäuser und Magazinmacher plötzlich gar nicht schnell genug von ihm distanzieren können, hat das mit Haltung nichts zu tun. Es geht um die Marke. Sie darf auf gar keinen Fall beschädigt werden. In Woche drei nach Weinstein kann der Name Terry Richardson ernsthaft Schaden anrichten, da bucht man besser einen andern Fotografen. So einfach, so beschämend ist das.

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Quelle:
SZ vom 28.10.2017
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