Süddeutsche Zeitung

Männermode:Für alles gerüstet

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Auf der Männer-Modewoche in Mailand für Herbst 2019 zelebrieren die großen Häuser von Fendi bis Prada die Rückkehr des Gentleman. Für die labile Luxusindustrie avancieren die Herrenkollektionen zum Retter.

Von Anne Goebel

Casino ist das Lieblingswort der Mailänder, wenn Modewoche ist in ihrer Stadt. Das Durcheinander aus Passanten, VIP-Autokolonnen, Polizisten mit roter Kelle - herrlich! Che casino, was für ein Chaos: Das ist bei Italienern nur scheinbar eine Klage und in Wahrheit Eigenlob. Wo es drunter und drüber geht, muss etwas Ultrawichtiges im Gange sein. Jeder noch so staugeplagte Augenzeuge ist irgendwie Teil der bedeutenden Vorkommnisse. Die ideale Dosis an bekömmlich gedrosselter Hysterie bietet die Männer-Fashion-Week. Es ist gut was los in der italienischen Modekapitale, der Verkehr zwischen Domplatz und Fondazione Prada stockt. Aber er steht nicht. Casino moderato.

Die Januar-Messe "Milano Moda Uomo" ist diesmal ein Ausflug aus dem Eis in den Vorfrühling. Nördlich vom Brenner Schneestarre, während sich in der lombardischen Hauptstadt das Leben nach draußen in die Sonne verlagert. Alles bestens also, und sogar die Männermode gibt neuerdings Anlass zu Schlagzeilen, keine Selbstverständlichkeit in der frauenfixierten Branche. Vielversprechende Zuwächse im maskulinen Sektor, die Herrenkollektionen als Retter der labilen Luxusindustrie: So klangen zuletzt die Nachrichten, und die New York Times rief für Mailand die "Schlacht der Titanen" aus. Kampf um jeden Kunden, von Armani bis Zegna.

Eine Schau im Bahnhof aus der Mussolini-Ära? Kein Problem, Hauptsache die Optik stimmt

Was die Arenen des Wettkampfs betrifft, legt Ermenegildo Zegna am ersten Abend die Latte hoch und bittet in den monumentalen Zentralbahnhof. Eigentlich erstaunlich, dass der marmorstrotzende Hauptsaal noch nie als Kulisse einer Modenschau diente. An der Entstehungszeit während der Mussolini-Ära kann es schwer liegen, da ist man südlich der Alpen ja recht schmerzfrei. Designer Alessandro Sartori lässt seine Models über eine Treppe hinabsteigen wie die Soldateska im Filmklassiker "Panzerkreuzer Potemkin". In friedlicher Absicht natürlich. Ihm gehe es um Weltoffenheit und Aufnahmebereitschaft, sagt Sartori. Die Ankunftshalle als Melting Pot, das beschreibt auch die Kollektion ganz gut.

Mit angedeuteten Reiterhosen aus Wolle, bis zum Knie mit Bändern umwickelt, Hoodies in Kuhfell-Optik und Kaschmir-Bomberjacken in Burgunderrot entwirft Sartori das Bild vom eleganten Großstadt-Trapper. Stets in Bewegung, für alles gerüstet und nie so richtig zu greifen. Ein Stil-Chamäleon. Die Konstante: Robuste Schuhe wie der Klassiker Cesare, den Sartori nur leicht variiert. Warum sich verkünsteln? Schließlich macht die Marke damit in absatzstarken Ländern wie den USA und China beste Geschäfte.

Voraussagen für Trends, die sich kommenden Herbst und Winter auf der Straße durchsetzen werden, sind auch bei Männerschauen schwer zu treffen. Beerentöne und Blauschattierungen gab es viel zu sehen, auffallende Prints, Taillenbetontes und Materialien, die lange als feminin angesehen wurden: Teddystoff zum Beispiel oder fluffiger Mohair für voluminöse Mäntel. So einen wallenden Überwurf mit Leopardenmuster in, sagen wir, Märkisch Buchholz oder Traunreut zu tragen, ist für den Durchschnittsmann wohl noch schwer vorstellbar. Wenn beide Seiten das knospende Interesse an mehr Mode für den Mann ausschöpfen wollen, müssen sich Kunden und Designer bewegen: Ein paar sachte Anbahnungsteile in jeder (guten) Kollektion hier, etwas mehr Mut dort.

Was die Parallelen zum Universum der Frauenmode betrifft, so gibt es die natürlich auch beim Gewese rund um die Fashion Week. Das bizarre Schaulaufen der Snapchat-Stars und Influencer; die Fankurven kreischender Asiatinnen; die blasierten Begrüßungsrituale ("Cherie, la vie est belle?" Antwort: "So good to see you!") - all das lässt sich auch bei den Männerschauen besichtigen. Man führt einen Mops als Accessoire mit zur Präsentation von Marni, nimmt als Matador mit engem Beinkleid bei Emporio Armani Platz oder als eine Art laufender Neon-Lampenschirm bei Prada: Hauptsache irgendwie auffallen, was ja heutzutage nicht mehr so einfach ist. Und es ist hübsch zu beobachten, wie die Art der Selbstinszenierung oft zum Stil der jeweiligen Marke passt, von machohaften Kerlen bei Versace bis zu schrillen Transgenderwesen bei gehypten Newcomern wie Miaoran.

Donatella muss in ihrer ersten Show nach dem Verkauf erst mal beweisen: Versace bleibt Versace

Dass Kollektionen für Männer neuerdings mehr Aufmerksamkeit (und mehr Verkaufsfläche, bei Harrod's zum Beispiel) bekommen, liegt auch an zwei aufsehenerregenden Personalien. Louis Vuitton berief mit Virgil Abloh 2018 den ersten Schwarzen als Kreativchef eines großen Couturehauses, das sicherte seinem Debüt als Designer der Herrenlinie maximale Aufmerksamkeit. Und bei Dior brach der neu installierte Kim Jones radikal mit der reduzierten Ästhetik seiner Vorgänger. Jones möchte die Welt lieber von pastellfarbenen Dandys bevölkert sehen. Entzücken in der Branche.

Quelle élégance, als hätte der heilige Christian Dior selbst seine Hand vom Himmel aus im Spiel gehabt. In Mailand zeigt vor allem Jones' Zieht-euch-gut-an-Offensive Wirkung. Smokings, Sakkos, Bügelfalten- oder grazil schmale Hosen, die den hoffentlich wohlgeformten Knöchel freilegen: Diese Klaviatur spielt so gut wie jedes der großen Häuser durch. Bei Dolce und Gabbana gibt's einen näselnden Conférencier wie bei Schauen in den Fünfzigerjahren und Gary-Cooper-Looks aus dunklem Cord und weißer Seide. Donatella Versace muss in ihrer ersten Show nach dem Verkauf der Marke an Michael Kors erst mal die Gemüter beruhigen: Versace bleibt Versace, also serviert sie den bewährten Mix aus Grellbuntem, Lack und Leder. Aber eben auch Anzüge, die man auf einer Hochzeit tragen kann. Okay, die schweren Goldketten - zumindest auf einer sizilianischen Hochzeit. Und bei Prada wird rabenschwarze "Tailoring"-Eleganz zelebriert. Schneiderkunst mit kastigen Schultern, Dreifachgürteln und taillenkurzen Sakkos. Wenn dem Herrn der Sinn mehr nach Farbe steht: Hemden, Brillengestell oder Handtäschchen hat Miuccia Prada auch in Bonbonblau auf Lager. Das ermöglicht der treuen Fangemeinde draußen in der echten Welt ein bisschen Paradiesvogel-Ablenkung vom scharfkantigen Schnitt der Zweiteiler - denn die werden nicht bei jedem Käufer so nahtlos sitzen wie an den Models. Die Figur dafür muss man erst mal haben.

"Es gibt heute für einen jungen Mann nichts Subversiveres als einen formellen Anzug." Das ließ Silvia Venturini Fendi wissen nach ihrer Gentleman-Kollektion in Kaffee- und Karamelltönen. Nach vielen lässigen Streetwear-Jahren sind Schlips und Kragen das neue Anti-Establishment.

Noch etwas war ein Signal in Mailand: Die Grenze zwischen Männer- und Frauenmode schmilzt weiter dahin. Auf den "Uomo"-Laufstegen war, in eingestreuten Entwürfen für die weibliche Kundschaft, eine kleine, feine Supermodel-Auswahl von Kaia Gerber bis Gigi Hadid zu sehen. Das dürfte vielen der männlichen Besucher gefallen haben. Und den Mode-Appetit der Begleiterin weckt man gleich noch mit.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2019
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